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Grabner Vom „malenden“ zum
„wissenschaftlichen“ Galeriedirektor
cke der altdeutschen und altniederländischen Schulen. Doch obwohl diesmal wesentlich
mehr Objekte nach Ungarn evakuiert werden konnten als im Jahre 1805, nämlich 54 Kis-
ten mit insgesamt 624 Gemälden, blieb an Füger der Makel hängen, er habe für die ihm
anvertraute Sammlung nicht ausreichend gesorgt.17 Tatsache ist, dass vier Kisten aufgrund
des Näherrückens der französischen Soldaten nicht auf das Schiff gebracht werden konn-
ten und weitere bedeutende Werke, um sie zu schützen, unter die Gemälde der zweiten
Wahl im Depot gemischt wurden. Diese List aber sollte den napoleonischen Kunstdele-
gierten nicht entgehen, als sie nach dem Sieg von Deutsch-Wagram die kaiserliche Samm-
lung, ihr Beutegut, begutachteten. Der Generaldirektor der französischen Museen Domi-
nique Vivant Denon wählte aus den verbliebenen Gemälden ungefähr 400 Arbeiten für
das Musée Napoléon aus18 und ließ die Depoträume versiegeln. In diesem Zusammen-
hang ist auf die Grobschlächtigkeit im Umgang mit der auf Holz gemalten Himmelfahrt
Mariae von Rubens hinzuweisen. Füger hatte (ähnlich wie 1805 die beiden Kustoden Rosa
jun. und Tusch) die Tafel zu groß für einen Transport erachtet und meinte, sie besser schüt-
zen zu können, indem man sie an der Wand montiert beließe. Die Kunstverständigen aus
Frankreich aber bestanden auf einer Abnahme des Gemäldes. Als Füger auf den heiklen
Zustand des Bildes hinwies, habe Denon seinen Entschluss geäußert, dasselbe gar in drei
Teile aufteilen zu wollen. Über den weiteren Vorgang berichtet Füger:
„Selbst meine Erinnerung, dass eine bei Werken der Malerei so ungewöhnliche Opera-
tion Stoff zu einer Anekdote in der Kunstgeschichte geben würde, die ich nicht auf meine
Rechnung zu nehmen gedächte, blieb ohne Erfolg; Herr Denon berief sich auf seinen er-
haltenen ausdrücklichen Befehl, dieses Bild zu nehmen. Es wurde demnach auf beiden Sei-
ten mit feinen Sägen durchgeschnitten und gleich anderen kleineren Stücken einge-
packt.“19
Neben dem gravierenden Verlust von dieser großen Anzahl von Bildern, der trotz
mehrmaliger Rückforderungen20 erst nach dem Wiener Kongress zum großen Teil wieder
rückgängig gemacht wurde,21 nahm auch das Schloss selbst Schaden, denn ab dem 3. Juli
dienten Räume sowohl im Oberen als auch im Unteren Belvedere als Lazarett für über
3000 Soldaten. Dieser Zustand währte bis zum 14. Oktober 1809, dem Tag des Friedens
von Schönbrunn.
Diese Umstände hatten einen normalen Galeriebetrieb in weite Ferne gerückt. Doch
auch nach Abzug der fremden Truppen ließ dieser noch einige Monate auf sich warten,
denn die Bilderkisten konnten erst im Juli des darauffolgenden Jahres nach Wien zurück-
geführt werden, da der Wasserstand der ungarischen Flüsse zu niedrig für die Schifffahrt
war. Die Zwischenzeit wurde dazu verwendet, die durch die Einquartierungen in Mitlei-
denschaft gezogenen Räume in den beiden oberen Geschoßen des Belvedere wieder in-
stand zu setzen. Beim Öffnen der Bilderkisten musste man dann feststellen, dass durch die
Ritzen Feuchtigkeit gedrungen war, was den Bildern sehr zum Schaden gereichte. Demzu-
folge dauerte es noch ein weiteres Jahr, bis man die zurückgebrachten Gemälde gereinigt
und gefirnisst, die aufgerollten großformatigen Werke gespannt und auf Keilrahmen auf-
gezogen und für alle Bilder die passenden Rahmen gefunden hatte.22
Im Sommer des Jahres 1811 war es dann so weit, und Füger konnte die Fertigstellung
der Galerieräume melden. Ausgenommen war das sogenannte „Weiße Kabinett“, in dem
sich seit Juni des Vorjahres die Marmorgruppe Mars und Venus mit Amor von Leopold Kies-
ling (Abb. 2) befand.23 Wie es scheint, war bei der Behandlung dieser lebensgroßen Figu-
rengruppe größte Obsorge geboten. So war es dem Galeriedirektor sogar untersagt, einen
Aufstellungsort festzulegen, sondern der Kaiser bestimmte selbst, dass der dafür optimale
und würdigste Ort der Raum darunter, also das Erdgeschoß des Nordwestoktogons sei. Im
Übrigen verstand man diese Marmorskulptur bereits damals als eine Allegorie auf den Frie-
den in Europa, da sie zu eben jener Zeit in Wien eintraf, als man die Vermählung von Erz-
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur