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Grabner Vom „malenden“ zum
„wissenschaftlichen“ Galeriedirektor
lesen.88 Krafft hatte sich bereits nach dem Tod von Füger um die Stelle beworben und ge-
noss seither sowohl als Künstler als auch durch seine Lehrtätigkeit als Korrektor an der Wie-
ner Akademie der bildenden Künste einen guten Ruf. Der Schöpfer der patriotischen Dar-
stellungen der Napoleonischen Kriege im Militär-Invalidenhaus (heute zum Großteil im
Heeresgeschichtlichen Museum in Wien) war für Kaiser Franz I. kein Unbekannter, außer-
dem arbeitete Krafft zum Zeitpunkt seiner Berufung gerade im Audienzsaal im Reichskanz-
leitrakt der Hofburg an den großen Wandgemälden, die das Leben des Monarchen zum
Inhalt haben. Seinen eigenen Angaben zufolge hatte sich Krafft sogleich seiner neuen Auf-
gabe im Belvedere gewidmet, das „in einem verwirten Zustand“ war, wie er dazu bemerk-
te. Zwar würdigte er die Leistungen seines Vorgängers, erkannte aber, dass dieser „durch
die vielen nothwendigen Baulichkeiten und besonders die Herrichtung der Meißnerische
Heitze aufgehalten, noch nicht weit gediehen war, als er nach einigen Dienstjahren
starb“.89
Kraffts allererste Aufgabe war es also, sowohl die laufenden baulichen Aktivitäten als
auch die von Rebell initiierten Restaurierungsmaßnahmen zu übernehmen und zu einem
Ende zu bringen. Unumgänglich war auch die Revision des Sammlungsbestandes, die so-
dann Ende 1833 in schriftlicher Form vorlag. Dieser Auflistung zufolge war die kaiserliche
Gemäldegalerie im Besitz von insgesamt 3694 Werken, von denen 171 Arbeiten nach La-
xenburg und Salzburg verliehen waren. 1631 Werke davon waren im Jahre 1833 „in der
Gallerie zur Schau aufgehangen“.90
Ein weiterer Schritt war die Fortsetzung der von Josef Rebell begonnenen Neuhängung
der Bilder. Der Einleitung des vom Sohn des Galeriedirektors, Albrecht Krafft, im Jahre
1837 herausgebrachten Galerieführers ist zu entnehmen, dass „die Eintheilung der Ge-
mälde nach Schulen, als die überhaupt zweckmässigste und insbesondere für abgetheilte
Gemächer anwendbarste“ erschien. Jedoch zeigten sich Hindernisse, diese Einteilung kon-
sequent durchzuziehen, denn „die Grösse vieler Bilder, besonders aus den italienischen
Schulen, im Verhältniss zu den Zimmerwänden […] hinderten, diese Anordnung mit der
gewünschten Strenge durchzuführen. Um so weniger konnte auch die chronologische
Ordnung, welche mit der Eintheilung in Schulen vereinigt, wohl die vortheilhafteste Auf-
stellungsart einer Gemälde-Sammlung ist, angewendet werden.“91 Nur bei den kleinfor-
matigen Werken der älteren deutschen und der niederländischen Schule im zweiten Stock
konnte „dieselbe wenigstens der Hauptsache nach befolgt werden“.92 Diese Äußerung
weist darauf hin, dass die schon im 18. Jahrhundert eingeführte Verwendung der einzel-
nen Geschoßteile für die Präsentation der einzelnen Schulen nun weitergeführt wurde
(Abb. 13). So befand sich im ersten Stock auch jetzt rechter Hand vom Marmorsaal, also
auf der Ostseite, die italienische Schule und auf der gegenüberliegenden Seite im Westen
die Niederländische Schule. Diese „territoriale“ Gewichtung wiederholte sich im Erdge-
schoß, wobei in diesen Räumen, wie Krafft jun. meinte, „diejenigen Bilder aufgestellt
[sind], welche entweder als neue Erwerbungen in die obern Gemächer nicht mehr einge-
reiht werden konnten, oder solche, welche nach vollständiger Einrichtung derselben üb-
rig geblieben waren“.93 Die vier Räume der rechten Seite im 2. Stock vereinten „die alte
deutsche und die ihr verwandte alte niederländische Schule“,94 und die vier Räume auf der
linken, also der Westseite, waren – und das war neu! – allein den Werken der „Modernen
Schule“ vorbehalten.
Eine von Kraffts größten Leistungen war es, die enorme Entwicklung, welche die Kunst
in den 1820er- und 1830er-Jahren gemacht hatte, erkannt zu haben und dieses Potenzial
für die kaiserliche Sammlung zu nutzen. Indem er der zeitgenössischen Kunst einen gan-
zen Flügel zuwies, gab er zu verstehen, wie wichtig es ihm erschien, den „gegenwärtigen
Zustand der Kunst in der österreichischen Monarchie und besonders in Wien“ zu beleuch-
ten, wie es im Sammlungsführer heißt.95 Da in diesem Verzeichnis die Arbeiten der neueren
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur