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Savoy Unschätzbare Meisterwerke
Das waren Summen, die um 1813 die Vorstellungskraft vieler Menschen überstiegen ha-
ben dürften. Das war so viel wie 7,5 Mal die jährliche Apanage eines Herzogs29 oder wie
10 gute Häuser in einem bürgerlichen Quartier von Paris.30 Ein Museumswächter verdien-
te in diesem Jahr monatlich 100 Francs.31 Diese hohe Messlatte einmal gesetzt, nutzten die
Experten die gesamte Preisskala, um mit wenigen Ausnahmen alle Antiken, Gemälde und
Handzeichnungen des Museums zu schätzen. 1,5 Millionen Francs erreichten außer der
Transfiguration und dem Laokoon keine weiteren Werke. Die nächste Stufe von 1.000.000
Francs erreichten nur zwei italienische Gemälde: Correggios Heiliger Hieronymus aus Parma
und die Hochzeit von Kana von Paolo Veronese aus Venedig.32 Bis zur nächsten Stufe von
einschließlich 500.000 Francs finden sich nur sechs Gemälde, darunter – nicht überra-
schend – drei Raffaels: die Madonna di Foligno (800.000), die Heilige Familie (600.000) und
die Hl. Caecilie (500.000); darüber hinaus Giulio Romanos Steinigung des hl. Stephanus
(700.000), Tizians Martyrium Petri (500.000) und Domenichinos Kommunion des hl. Hiero-
nymus (500.000).33 In dieser Preiskategorie taucht auch zum ersten Mal ein nicht-italieni-
sches Gemälde auf: Rubens‘ Kreuzabnahme aus Antwerpen (600.000).34 Das zweitteuerste
niederländische Gemälde ist eine große Tierszene von Paulus Potter aus der Sammlung
des Stadthouders in Den Haag (430.000).35
Darunter verteilen sich bis einschließlich 100.000 Francs zwei Dutzend italienische und
niederländische Gemälde. Hier tauchen auch die ersten Gemälde aus der französischen
Schule auf, Werke von Eustache Lesueur und Charles Lebrun (250.000 bzw. 200.000
Francs) gefolgt von vier auf 150.000 Francs geschätzte Nicolas Poussins und zwei Claude
Lorrains für 100.000 Francs.36 Um dieses Preisniveau herum gruppieren sich eine Handvoll
niederländischer Maler, neben Rubens auch Van Dyck mit einem Höchstpreis von 150.000
für die Beweinung Christi aus Antwerpen und Gerard Dou mit der Wassersüchtigen Frau aus
der Sammlung des französischen Königs (120.000); Van Eyck steht als einziger Vertreter
der alten niederländischen Schule in dieser Preiskategorie mit dem Mittelteil des Genter
Altars (100.000).37 Unter der Grenze von 100.000 Francs wird dann die Übersicht
schwieriger. Auffällig ist hier die Schätzung von Leonardos Mona Lisa auf 90.000 Francs,38
Remb
randts Höchstpreise um die 60.000 Francs unter anderem für das in Paris sehr
gepriesene Gemälde Jacob segnet seine Kinder aus Kassel,39 und die Präsenz zweier
Mantegnas, ebenfalls für 60.000 Francs.40 Für Murillos teuerstes Gemälde, Die hl. Familie,
ist ein Schätzpreis von 48.000 Francs eingetragen.41 Darunter kommt neben vielen
Italienern eine kompakte Gruppe niederländischer Landschafts- oder Genremaler wie
Berchem, Both, Ostade, Teniers oder Metsu (höchste Schätzungen um die 30.000 bis
40.000 Francs).42 Die teuersten „altdeutschen“ Gemälde werden auf Preise zwischen
10.000 und 15.000 Francs geschätzt. Dies sind Altdorfers Alexanderschlacht aus München
(15.000), Holbeins Portrait des Nicolaus Kratzer aus der Sammlung des französischen
Königs (10.000) und eine Dürer zugeschriebene Anbetung der Könige aus Savona
(10.000).43 Trotz der großen Beliebtheit, der er sich nachweislich beim Pariser Publikum
erfreute, ist Cranachs Jungbrunnen aus Berlin auf nur 3000 Francs geschätzt.44 Ebenso
Watteaus Einschiffung nach Kythera aus der Sammlung des französischen Königs.45 Chardin
kommt maximal auf 1000 Francs.46 Die niedrigsten Preise betreffen Kopien nach bekann-
ten Meistern oder keinem Autor zugeordnete Gemälde.
Diese zu schnelle Übersicht müsste selbstverständlich erweitert werden, vor allem um
eine Analyse der Preisgestaltung nach Bildformaten und -gattungen. In ihrer Skizzenhaf-
tigkeit lässt sie dennoch einige Schlussfolgerungen zu. Im Jahre 1813 war die Überholung
Correggios durch Raffael – die schon in der Kunstliteratur jener Jahre spürbar ist – endgül-
tig vollzogen. Der von Ernst Osterkamp so präzise nachgezeichnete Raffaelkult der Jahre
um 1800 in Europa spiegelt sich im Inventaire Napoléon unmittelbar wider.47 Die Höhe von
Raffaels Preisen folgt unmittelbar der Höhe seiner Stellung am kunstgeschichtlichen und
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur