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Astrid Bähr
Ein Blick in die Sammlung –
Galeriewerke des 18. Jahrhunderts
Unter all den unterschiedlich ausgerichteten Stichwerken – sei es zur Architektur einzelner
Gebäude, zu Münzen oder Antiken, die sich seit dem 17. Jahrhundert immer mehr aus-
breiteten und sich zu lukrativen Handelswaren entwickelten – geben insbesondere Galerie-
werke einige Hinweise auf die zeitgenössische Ausstellungspraxis. In diesen Galeriewerken
wurden radierte oder gestochene, oft sehr großformatige Reproduktionen nach Gemälden
einer einzelnen Sammlung zusammengebunden, mit einem Titel versehen sowie häufig
durch eine Widmung, ein Vorwort und Beschreibungen der Gemälde ergänzt.1 Ihre Be-
deutung und gegenseitige Dependenz im 18. Jahrhundert unterstreicht der einflussreiche
Dresdener Kustos Karl Heinrich von Heinecken in seiner Anleitung zu einer idealtypischen
Kupferstichsammlung, der Idée générale d’une collection complette d’estampes2 1771, in-
dem er die Galeriewerke als erste Werkgruppe innerhalb eines wohlgeordneten Kabinetts
anführt: Die Stichwerke nach den Gemälden einer einzelnen Sammlung sollten mit ihrer
Vielzahl an Kunstwerken berühmter Meister ein breites kunsthistorisches Panoptikum zum
genauen Studium der Maler ebenso wie der Kupferstecher liefern und damit zugleich den
weiteren Weg in die Sammlung ebnen.
Anders als im Englischen oder Französischen, wo diese Stichwerke als „presentation vol-
ume“, „engraved catalogue“, als „recueil gravé“ oder „collection d’estampes“ eher vage Be-
zeichnungen erhielten, wurden sie im Deutschen als „Galeriewerk“ bereits im 18. Jahrhun-
dert als eigene Gattung gefasst.3 Damit wies die Bezeichnung über eine reine Sammlung von
Kupferstichen hinaus auf den Ort der Sammlung und führte damit das Ausgestelltsein der
Werke schon im Titel. Tatsächlich ging es jedoch gar nicht darum, die zeitgenössische Hän-
gung zu zeigen. In erster Linie zielten die Werke darauf, die Sammelleistung des Besitzers zu
präsentieren und dadurch seinen Ruhm zu mehren. In diese Zurschaustellung und Prachtent-
faltung mengen sich weitere Funktionen, die die jeweiligen Herausgeber bedienten: So
konnten der einheimische Graphikmarkt durch umfangreiche Aufträge belebt und zugleich
einzelne Stecher bekannt gemacht sowie ihre Werke vermarktet werden; eigene Geschmacks-
vorlieben konnten vorgeführt, ja mehr noch, einzelne Kunstrichtungen propagandistisch ver-
breitet werden. Schließlich entwickelte sich in den begleitenden Texten der Galeriewerke ein
kennerschaftlicher Beschreibungsapparat, der im Zusammenspiel von Text und Bild zur Eta-
blierung der Kunstwissenschaft beitrug. Als Ordnungs- und Systematisierungskriterium der
Stiche fokussierte man zunehmend auf eine Gruppierung nach Malerschulen und griff damit
auf die Hängung in der Galerie selbst voraus, wo sich dies erst langsam zu etablieren begann.
Im ersten Galeriewerk überhaupt, dem Theatrum Pictorium4 von 1660, zeigt der Herausge-
ber David Teniers in 243 Radierungen italienische Gemälde des 16. und 17. Jahrhunderts aus
der gewaltigen Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm in Brüssel und später in Wien.5
Abb. 1
Prodromus, 1735, Taf. 3
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Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur