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Bähr Ein Blick in die Sammlung
bringt dabei klare Geschmacksvorlieben zu Tage:
So entfaltet sich ein Panorama von Raffael über
Correggio, Reni und Carracci hin zu Poussin, der,
einem Entwicklungsgedanken folgend, als neuer
französischer Nationalkünstler und würdiger
Nachfolger Raffaels aufgebaut wird.
Diesen Gedanken unterstreichen das Vorwort
und die begleitenden Texte von Félibien, bei de-
nen er teilweise auf die Conférences der Académie
royale de peinture et sculpture zurückgriff, für die
er möglicherweise ebenfalls einen begleitenden
Stichband plante.10 Wie die Conférences als Lehr-
gebäude aufgefasst, heben die Texte im Galerie-
werk die Vorzüge des Gemäldes, seine Stellung
im Oeuvre des Malers, eine Kurzcharakteristik der
Malweise, vereinzelt auch schwierige ikonogra-
phische Inhalte hervor und referieren Provenienz
und Maße. Zugleich geben sie Hinweise auf die
Farben des Gemäldes und regen zum Vergleich
der Stiche untereinander an. Damit dienen Féli-
biens Texte fortan als Vorbild für viele Galeriewer-
ke und tragen zu einer Art systematischer Kunst-
geschichtsschreibung im Galeriewerk bei. Wäh-
rend Teniers die fürstliche Prachtentfaltung durch
die Vielfalt und Vielzahl der Gemälde sowie die
Galerie selbst als fürstliches Attribut in den Vor-
dergrund stellte, sehen wir hier ein auf dezidierte
Auswahl setzendes Museum auf Papier, das im
Zusammenspiel von Bild und Text eine Systema-
tik entwickelt, die sich erst später in den Präsen-
tationen der Sammlungen wiederfindet und den
Topos der Galerie als Ort der Gelehrsamkeit be-
reits im Buch vorwegnimmt.
Dass das Medium „Galeriewerk“ in der Folge
an den europäischen Höfen wahrgenommen
wurde, zeigen einige kleinerformatige, mit weni-
gen, oft dilettantisch ausgeführten Radierungen
ausgestattete Stichwerke ohne begleitende Texte
und Ansichten der Hängung, die jedoch vom Be-
wusstsein künden, den eigenen Ruhm als Sammler durch eine Stichwerkspublikation zu
mehren.11 Direkten Bezug auf Teniers Galeriewerk nimmt dagegen das in vier Bänden zwi-
schen 1728 und 1733 erschienene Wiener Galeriewerk Theatrum artis pictoriae,12 das auf
eine vollständige Wiedergabe der Sammlung zielt und nun noch stärker den Ort und die
Präsentation der Sammlung im Visier hat.13 Die 160 Reproduktionen sind nun nicht mehr
allein auf italienische Gemälde beschränkt, sondern beziehen alle Malerschulen ein. Gleich
die ersten vier Abbildungen des ersten Bandes geben Einblicke in die Stallburggalerie, de-
ren Bedeutung als Wandelhalle zur Belehrung und Unterhaltung auch die Widmung an
Karl VI. betont. Während die erste Ansicht die Eingangstür bietet und mit dem Porträt ei-
nes Ehepaars von majestätischem Alter als Memento mori gedient haben mag, zeigen drei
weitere Radierungen die Hängung im Gang der Galerie, die die Abbildung im Teniers’schen
Abb. 4
Tableaux du Cabinet du Roy, 1677:
Gérard Edelinck nach Raffael,
La sainte famille de Jesus Christ, Taf. 1
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur