Seite - 437 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
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Museen in unserem heutigen Verständnis des Wortes entstanden seit den letzten Jahr-
zehnten des 18. Jahrhunderts.1 Sie sind Leitphänomene einer Kunstauffassung, welche das
Museum und das Gewahrwerden von Geschichtlichkeit auf das engste miteinander ver-
bindet. Nunmehr stehen sie nahezu ausschließlich unter dem Gedanken der Geschicht-
lichkeit der Kunst. Kunstwerke werden gesammelt und exponiert, deren historischer Pro-
venienz und Zuordnung man sich genau bewusst ist. In seiner Gründungsphase ist das
Museum ein zwiespältiges Medium, indem es gewissermaßen in zwei Richtungen weist:
Zum einen steht es auf dem Grund einer autonomen Setzung der Kunst, der Lösung ihrer
Bindung an Hof und Kirche und die ständische Welt. Das Museum entledigt sich seiner
schmückenden, liturgischen, repräsentativen Funktion und öffnet damit das ästhetische
Feld der Moderne. Zum anderen ist das Museum aber auch die Verkörperung des spezifi-
schen neuen Blicks in die Vergangenheit, die Verkörperung dieses historischen Diskurses.
Dieser fordert geradezu auf, die eben erst verwirklicht geglaubte Autonomie der Kunst-
werke in historische Verweissysteme, Erklärungsmuster und Kontextbildungen zu überfüh-
ren: Ästhetische Unmittelbarkeit des Schauens steht einer wissenschaftlichen Reflektiert-
heit des Blicks entgegen.
Mit der Gründung des öffentlichen Kunstmuseums veränderten sich nicht nur die Ge-
staltung des umgebenden Museumsraums, sondern auch die inhaltlichen Beweggründe
für bestimmte Präsentationsweisen. Bereits vor der Aufklärung und der Französischen Re-
volution als Zeiten des Umbruchs und der Forcierung der Museumsidee wurden am Be-
ginn des 18. Jahrhunderts neben den Kunst- und Wunderkammern in den Residenzkom-
plexen mitunter funktional und baulich separierte Museen bzw. Galerien, die in ihren
Sammlungen vor allem seit dem 16. Jahrhundert entstandene Kunstwerke verwahrten, in
beachtlicher Zahl gegründet.2 Die Basis für die Musealisierung und für die Freigabe und
Überstellung der Kunst an die ästhetische Eigenerfahrung war hier bereits gelegt worden.
Doch erst die verstärkte Ablösung der Gemäldegalerien aus dem dynastischen Kontext
und der Beginn des Kunstmuseums als öffentliche Institution verwandelten deren Charak-
ter von einer Repräsentationsstätte zu einer Bildungsstätte. Dabei hatte die Tatsache, dass
ihnen zunehmend gesellschaftliche und kulturpolitische Funktionen zugesprochen wur-
den, gravierende Auswirkungen auf die Präsentationsmodi der Museen. Die Kunstwerke
wurden nun nicht mehr, wie bis dahin üblich, nach überwiegend dekorativen, repräsenta-
tiven oder Platz sparenden Kriterien angeordnet, sondern nach kunstgeschichtlichen und
wissenschaftlichen Aspekten untersucht, in Epochen, Stile und Schulen, die sich aus der
Manier der Meister ergaben, eingeteilt und zunehmend in chronologischer Reihenfolge
gehängt. Auf diese Weise sollten durch die Hängung der Bilder Eigenarten der einzelnen
Epochen und Schulen aufgezeigt und die Kunst in ihrer geschichtlichen Entwicklung für
Kristine Patz
Schulzimmer: „Nicht nur zum
vorübergehenden Vergnügen“
GALERIE – BIBLIOTHEK – VERSCHULUNG
Abb. 1
Johann Franz Wussim (?),
Die Kayßerliche Bibliothek und
Raritaten Kammer, Kupferstich
in: Brown 1685,
S. 242/243, Detail
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Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur