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Patz Schulzimmer
Bibliothek
Indem Mechel und Lanzi den Bibliotheksvergleich nicht weiter spezifizieren, kann der Be-
griff in seiner ganzen Bedeutungsvielfalt verstanden werden. Er steht dann für eine öffent-
liche Einrichtung, für einen Ort, ein Gebäude, für eine geordnete und benutzbare Samm-
lung von Büchern, schließlich auch für eine solche Sammlung selbst. Signalwörter für den
Vergleich sind die expliziten Vergleichspartikel ‚quasi‘, ‚come‘ und ‚wie‘.9 Der Vergleich re-
kurriert bei dem in Beziehung gebrachten Sachverhalt auf eine Eigenschaft oder mehrere
gemeinsame Eigenschaften, über die sowohl die neugeordneten Galerien als auch der Ver-
gleichsgegenstand Bibliothek verfügen. Gleichzeitig weist die Einladung des Lesers und
Betrachters zum Suchen nach den entsprechenden Analogierelationen auch auf die Nicht-
Identität der verknüpften Bereiche von Bibliothek und Sammlungsneuaufstellung hin.
Der Literarhistoriker, Übersetzer und Italianist Christian Joseph Jagemann veröffentlich-
te 1786 eine gekürzte Fassung der Beschreibung der großherzoglichen Gallerie zu Florenz,
wie sie seit 1780 auf Befehl des Großherzogs geordnet worden ist in deutscher Übersetzung
in der Zeitschrift Deutsches Museum.10 Kurz und treffend umreißt Jagemann das Ergebnis
der Neuaufstellung: „Die alte Unordnung ist nun ganz abgeschaft“11 und beendet den Ab-
satz mit dem freien Wortlaut nach Lanzi: „Kurz, das königliche Museum erhielt die Gestalt
einer ‚wohlgeordneten Bibliothek‘ [Hervorhebung d. Verf.], wo alles, was von einer Ver-
wandtschaft ist, sein eigenes Fach hat.“12 Lanzi distanziert sich im Bibliotheksvergleich von
dem Sammlungskonzept seiner Vorgänger, die die Objekte in ihrer unterschiedlichen Her-
kunft und Bestimmung gemeinsam präsentierten.13 Hieraus resultierte das beschworene
Bild angeblicher Unordnung und vermeintlichen Durcheinanders, eines zusammenhang-
losen Nebeneinanders des Heterogenen, das sich zudem in Schränken, Schubläden und
Kästen verborgen einer Sammlungsübersicht und den Blicken der Betrachter entzog.14
Übersicht, Einheitlichkeit und ungehinderter Zugang sind für Lanzi wesentliche Kriterien
für die Neuordnung. Er bemüht deshalb Cicero, der eine sprachlich zu schnelle Präsenta-
tion, bei der dem Zuhörer das Mitdenken und Begreifen geradezu verwehrt wird, eben-
Abb. 4
Grundriß von Erd- und Obergeschoß der
Gemäldegalerie im Oberen Belvedere, Wien,
mit Nennung der verschiedenen Schulen,
in: Mechel 1783
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur