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Patz Schulzimmer
die bestehende Sammlung als Ausbildungsstätte für Künstler verstanden, so dass die Hän-
gung der Bilder bis weit in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein nach inhaltlich-moti-
vischen Kriterien erfolgte und tatsächlich erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts von
einer chronologischen Präsentation abgelöst wurde. Grundsätzlich aber gilt: früher oder
später, konsequent oder zurückhaltend, öffneten sich die meisten Gemäldegalerien den
Neuerungen; am kunstgeschichtlichen Prinzip wurde in der Folge kaum mehr gerührt.
Oder anders gesagt: die Museen des 19. Jahrhunderts haben sich für die Historisierung der
Kunst entschieden.
Mit der Auftaktleistung des Wiener Belvedere war die Möglichkeit der räumlichen Ord-
nung, die das öffentliche Museum wie keine andere Institution bereitstellte, gegeben, die
Historizität und Sequentialität als entscheidende Charakteristika der neu entstehenden
Disziplinen wie z.B. der Kunstgeschichte – und damit die Disziplinen selbst – sichtbar und
erfahrbar machte. Im performativen Nachvollzug der so konstruierten Objektserien im
Rahmen der Ausstellungsrundgänge schrieben sich diese disziplinären Ordnungen in die
Köpfe und Körper der Museumsbesucher ein.
1 Kurze Darstellung dieses komplexen Problems etwa bei Joachim Baur, Was ist ein Museum? Vier Umkreisungen eines
widerspenstigen Gegenstands, in: Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, hg. von Joachim
Baur, Bielefeld 2010, S. 15–48 sowie Tony Bennett, The Birth of the Museum: History, Theory, Politics, Routledge 1995.
Zur Herleitung des Begriffs: Paula Findlen, The museum: its classical etymology and Renaissance genealogy, in: Journal of the
history of collections, Bd. 1, 1989, S. 59–78.
2 Die führende Rolle der Galerie als Sammlungsraum für Gemälde beschränkt sich vor allem auf das 18. Jahrhundert. Zu
verweisen wäre hier insbesondere auf Bénédicte Savoy (Hg.), Tempel der Kunst: Die Entstehung des öffentlichen Museums in
Deutschland 1701–1815, Mainz 2006; Europäische Galeriebauten, Akten des Internationalen Symposions der Bibliotheca
Hertziana, Rom, 23.–26. Februar 2005 = Galleries in a comparative European perspective (1400–1800), hg. von Christina
Strunck und Elisabeth Kieven, München 2010; Les grandes galeries européennes: XVIIe–XIXe siècles, Centre de Recherche
du Château de Versailles, hg. von Claire Constans und Mathieu da Vinha, Paris 2010.
3 Für den weiteren Zusammenhang verweise ich auf Mina Gregori, Luigi Lanzi e il riordinamento della galleria, in: Gli
Uffizi 1, 1983, S. 367–393; sowie auf Miriam Fileti Mazza/Bruna M. Tomasello, Galleria degli Uffizi 1775–1792: un
laboratorio culturale per Giuseppe Pelli Bencivenni, Modena 2003.
4 Insbesondere die einschlägige Studie von Deborah J. Meijers, Kunst als Natur. Die Habsburger Gemäldegalerie in Wien um
1780 (= Schriften des Kunsthistorischen Museums, Bd. 2), Wien 1995 (zuerst als: Kunst als natuur, Amsterdam 1991).
5 Hierzu und zum folgenden Gabriele Bickendorf, Die Historisierung der italienischen Kunstbetrachtung im 17. und 18.
Jahrhundert, Berlin 1998, bes. S. 315ff.
6 Zu Mechel im allgemeinen Lucas Heinrich Wüthrich, Christian von Mechel: Leben und Werk eines Basler Kupferstechers
und Kunsthändlers (1737–1817), Basel u.a. 1956.
7 Erst unter der Direktion von Tommaso Puccini, der 1793 Giuseppe Pelli Bencivenni in der Leitung der Uffizien abgelöst
hatte, wurde innerhalb der Galerie nach Lokalschulen differenziert. Diesen Hinweis verdanke ich Nora Fischer. Als
Alternativentwurf zu Giuseppe Pelli Bencivennis Saggio istorico della Real Galleria di Firenze zu sehen ist Luigi Lanzi,
La Real Galleria di Firenze accresciuta e riordinata per comando di S.A.R. l’Arciduca Granduca di Toscana, Firenze: Franc.
Moücke, 1782 (ursprünglich in Giornale de’ letterati, 47, Pisa 1782,S. 7–219); http://www.memofonte.it/home/files/pdf/
lanzi_realgalleria.pdf (PDF pubblicato luglio 2006).
8 Parallel dazu hatte Johann Georg Sulzer eine vergleichbare Analogie unter dem Lemma ‚Galerie (Zeichnende Künste)‘
in seiner Allgemeine[n] Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, Leipzig 1771, S. 415, vorgelegt, die als erste und für lange Zeit
einzige Enzyklopädie im deutschen Sprachraum das weite Feld der Ästhetik in lexikalischer Form zu systematisieren und
darzustellen versuchte: „Dergleichen Gallerien sind für die zeichnenden Künste, was die öffentlichen Bibliotheken für
die Gelehrsamkeit; Schätze zum öffentlichen Gebrauch der Künstler. Sie müssen deswegen den Künstlern und
Liebhabern zum Studiren beständig offen stehen. In dieser Absicht aber sollten sie auch nach einem besonders dazu
entworfenen Plan angelegt seyn, nach welchem jeder Theil der Kunst sein besonderes Fach hätte.“
9 Für G. Pelli Bencivenni: Ders., Catalogo delle pitture della Regia Galleria, 1775–1792 (Florenz, Archivio Biblioteca degli
Uffizi, ms. 463, ins. 4 e ins. 10); Il Catalogo delle pitture 1782–1792. Gli Uffizi nella seconda metà del Settecento, hg. von
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur