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Décultot Museum als sichtbare Geschichte
Kunstsammlern wie Gottfried Winckler (1731–1795) und Johann Thomas Richter (1718–
1773) in Leipzig sowie Karoline Luise von Hessen-Darmstadt, Markgräfin von Baden-Dur-
lach (1723–1783).15 Dabei galt Wille als ausgesprochener Spezialist auf dem Gebiet der
Handzeichnung und hervorragender Kenner von Landschaften. Mit besonderem Erfolg
setzte er sich für den europäischen Ruhm des sächsischen Hofmalers Christian Wilhelm
Ernst Dietrich (1712–1774) ein, dessen Werke er nach Paris kommen ließ und mit beacht-
lichem Gewinn an französische oder schweizerische Kunstsammler weiter verkaufte. Wille
sammelte aber auch für sich selbst und besaß neben zahlreichen Gemälden ein qualität-
volles Zeichnungs- und Stichkabinett, in dem die altdeutschen Meister einen wichtigen Platz
einnahmen. Als er wesentliche Teile seiner Sammlung 1784 versteigern ließ, erlöste er aus den
122 Gemälden und ca. 400 Zeichnungen den stattlichen Betrag von etwa 100 000 livres.16
1786 wurde seine Sammlung von Stichen und druckgraphischen Werken verkauft — eine
Auktion, die auf dem damaligen Kunstmarkt ebenfalls Aufsehen erregte.17
Willes Bekanntschaft war in Mechels Karriere grundlegend wichtig. Wille brachte ihm
nicht nur die Kunst des Stechens bei, sondern verschaffte ihm auch Eingang in die höchs-
ten Pariser Kunstkreise. So lernte Mechel Jean-Honoré Fragonard, Charles André van Loo,
François Boucher, Jean-Baptiste Greuze oder Hubert Robert kennen. An der Entwicklung
von Willes druckgraphischer und kaufmännischer Tätigkeit konnte der junge Basler darü-
ber hinaus die neuen Tendenzen des Kunstmarkts beobachten. Wille betrieb zwar Repro-
duktionsstecherei, erfand aber auch eigene Motive. In seinen Reproduktionsarbeiten, die
er frei, d.h. ohne die Anweisungen eines fürstlichen Auftraggebers wählte, orientierte er
sich deutlich an den bürgerlich-bäuerlichen Motiven der niederländischen und flämischen
Malerei und folgte dabei dem Geschmack einer neuen, in der französischen Bourgeoisie
immer breiter vertretenen Gruppe von Kunstliebhabern. Im Handel mit Kunstwerken ließ
sich dieselbe Tendenz beobachten. In Willes Geschäftsbüchern und Tagebuch rangieren
Philips Wouverman, Cornelis Bega, David Teniers der Jüngere, Gerard ter Borch, Adriaen
van Ostade, Gabriel Metsu, Franz Mieris und Rubens noch vor Chardin und Greuze.18 Hin-
ter all diesen Erscheinungen konnte Mechel das Aufkommen eines sowohl aus adligen als
auch aus bürgerlichen Kunstkennern bestehenden Publikums erkennen, das die fürstlichen
Auftraggeber — die noch einige Jahrzehnte zuvor Themen und Zahl der Kunstwerke be-
stimmt hatten — nun zum Teil ersetzte und sich immer mehr als eine durchaus machtvol-
le, den Kunstmarkt bestimmende Instanz durchsetzte.
Über Wille lernte Mechel einige wichtige Figuren des europäischen Kunsthandels ken-
nen. So knüpfte er Kontakt zum Bankier, dilettierenden Künstler und Kunstsammler Jo-
hann Heinrich Eberts (1726 – nach 1793), der für Wille Geld- und Transportgeschäfte mit
deutschen Künstlern und Handelshäusern abwickelte. Die Markgräfin von Baden-Durlach,
die Wille einige wichtige Kaufaufträge ab den 1760er Jahren — etwa bei der Auktion der
Sammlung des comte de Vence — anvertraute, wurde später auch seine eigene Kundin.19
Zum Unterschied von Wille war Paris für Mechel nur eine Etappe in seiner Karriere. Die mit
schlecht bezahlten Gesellen in Gang gebrachte Stecherwerkstatt, die er 1760 in der rue
Saint Honoré eröffnet hatte, verlegte er 1764 nach Basel, wo er noch keine ernsthafte Kon-
kurrenz auf dem Gebiet der Stecherkunst und des Kunsthandels zu befürchten hatte. Nach
sieben Jahren hatte ihm der Pariser Aufenthalt genügend Geld und Erfahrung eingebracht,
um die Gründung eines eigenen Unternehmens in Basel möglich zu machen.
1.2. Zurück in Basel: zur Nachwirkung von Willes Modell
In seiner späteren Entwicklung ist Mechel in vielerlei Aspekten Willes Vorbild gefolgt.
Zunächst einmal weist Mechels Basler Unternehmen in seiner dreifältigen Struktur von
Verlagswesen, Akademie und Kunsthandel auffallende Ähnlichkeiten mit Willes Pariser
Haus auf. Neben dem Verlag, in dem er nicht nur eigene, sondern auch viele auswärtige
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur