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Décultot Museum als sichtbare Geschichte
In den Belvedere-Räumen trennte Mechel nicht nur — wie schon Jahrzehnte zuvor in der
Düsseldorfer Galerie — die italienische von der niederländischen Schule, sondern er schied
auch zum ersten Mal in einem Museum die deutsche von der niederländischen, und ver-
lieh dabei — ähnlich wie Wille — Albrecht Dürer, dem „Vater der deutschen Schule“, dem
„Muster und Lehrer für eine Menge Künstler, die seinen Grundsätzen und seiner Manier
folgten“, eine zentrale Bedeutung.42 Schon in Paris konnte Mechel die Vorteile einer Auf-
fassung der Kunst ermessen, die sich von einer bloß normativen, an den etablierten Grö-
ßen der Kunsttradition (Raphael, Michelangelo) orientierten Hierarchie abwandte, um
vielmehr die historische Entwicklung der verschiedenen europäischen Schulen in ihrer je-
weiligen Einzigartigkeit zu verfolgen.
2. CHRISTIAN VON MECHEL UND JOHANN JOACHIM WINCKELMANN
2.1. Begegnung in Rom
Zu den wichtigen Beiträgen Willes zu Mechels künstlerischer und intellektueller Ausbil-
dung gehört auch der Kontakt zu Johann Joachim Winckelmann, mit dem der Pariser Ste-
cher seit Anfang 1756 einen regen Briefwechsel unterhielt.43 Auf Winckelmann war Wille
schon 1755 bei der Veröffentlichung seiner Erstlingsschrift, der Gedancken über die Nach-
ahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst, aufmerksam gewor-
den.44 Mit der Unterstützung des in Paris etablierten Künstlers wurde dieser in nur ca. 60
Exemplaren in Friedrichstadt bei Dresden veröffentlichte Traktat durch J. E. Wächtler ins
Französische übersetzt und schon im Januar 1756 im „Journal étranger“ publiziert, was
dem Text einen europäischen Widerhall verlieh.45 In einem Brief an Hagedorn rühmt sich
Wille, mit eigenen Korrekturarbeiten an der Übersetzung teilgenommen zu haben.46 Kurz
darauf sammelte er zusammen mit seinem Freund Johann Caspar Füssli (1706–1782)
Spenden, um Winckelmann 1758 einen Aufenthalt in Neapel zu ermöglichen.47 Mit gro-
ßer Aufmerksamkeit verfolgte Wille die Entstehung der späteren Schriften des deutsch-rö-
mischen Antiquars, der ihn in zahlreichen, gehaltvollen Briefen über die Fortschritte seiner
Arbeiten — und ganz besonders seiner Geschichte der Kunst des Alterthums — informierte.
Mitte August 1757 schickte ihm Winckelmann beispielsweise eine erste Version seiner be-
rühmten Beschreibung des Apollo vom Belvedere sowie einen Entwurf der Gliederung sei-
nes entstehenden Geschichtswerks.48 1763 sandte er ihm sein Sendschreiben von den Her-
culanischen Entdeckungen, das kurz darauf ins Französische übersetzt wurde,49 und 1764
ein Exemplar seiner soeben erschienenen Geschichte der Kunst, deren Vorrede mit einem
Lob auf den Pariser Stecher schließt.50 Auch mit Winckelmanns Freund Anton Raphael
Mengs, der ihm 1762 seine soeben erschienenen Gedanken über die Schönheit und über
den Geschmak in der Malerey schenkte, stand Wille in brieflichem Kontakt.51
Vor diesem Hintergrund wundert es nicht weiter, wenn die persönliche Bekanntschaft
mit Winckelmann zu Mechels Hauptzielen gehörte, als er zwischen März und September
1766 in Rom verweilte. Der deutsch-römische Gelehrte war ohnehin eine europaweit be-
kannte Figur geworden, die sich unter anderem einen Namen als ausgezeichneter Rom-
führer gemacht hatte. Gehörten die Sprösslinge der europäischen Aristokratie zu seiner
bevorzugten Klientel, so ließen allerdings seine Briefe und Schriften ab und zu eine gewis-
se Abneigung gegen die jungen Adligen vernehmen, die während ihrer Grand Tour mit
gleichgültiger oder gar gelangweilter Miene unter seiner Führung durch die Wunder des
antiken Roms herumfuhren.52 Dabei war ihm die Gruppe der „freyen Schweizer“ (Johann
Caspar und Johann Heinrich Füssli, Salomon Geßner, Leonhard Usteri, Paul Usteri und
Christian von Mechel), mit denen er bis zum Ende seines Lebens einen regen Briefwechsel
unterhielt, als Vertreter eines gesunden, tugendhaften Bürgertums besonders willkom-
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur