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Bickendorf Marco Lastris L’Etruria pittrice
„Kunst“ vom Kunsthandwerk und der Naturkunde getrennt, nicht
aber – wie etwa zeitgleich in Wien – eine konsequente Systemati-
sierung der Malerei nach Schulen erstellt. Dieses Desiderat suchte
Marco Lastri mit seiner Toskanischen Malereigeschichte zu kom-
pensieren, der er die Form eines „Papiermuseums“ gab.
Der Begriff des Papiermuseums geht bekanntlich auf Cassiano
dal Pozzo und seine umfangreiche Sammlung von Zeichnungen
und Druckgraphiken zurück, der er den Namen „Museo cartaceo“
gegeben hatte. Die gewaltige Sammlung, die Cassiano dal Pozzo
und sein Bruder über Jahrzehnte hinweg angelegt hatten, sollte
Kultur und Natur gleichermaßen in en zyklopädischer Breite doku-
mentieren. Hier wurden die Werke von Natur und Kultur in allen
ihren Erscheinungsformen wie in einem Museum gesammelt, ge-
sichtet, systematisiert und der Gelehrtenrepublik zur weiteren For-
schung zugänglich gemacht. Die römische Sammlung wurde in-
tensiv konsultiert – zu den Besuchern zählte u.a. Johann Joachim
Winckelmann – und diente als Vorbild für eine ganze Reihe späte-
rer Papiermuseen und portatiler Galerien.
Zu den wenigen erhaltenen Beispielen einer Galerie in Papier-
form gehört die Galleria portatile des Sebastiano Resta.3 Die exzel-
lente Sammlung von italienischen Zeichnungen gehört heute zu
den Schätzen der Biblioteca Ambrosiana in Mailand. Hervorragen-
de Bedeutung besitzt sie aber auch für die Geschichte des Schul-
modells; Genevieve Warwick hat dies überzeugend herausgearbei-
tet. Restas Papiermuseum zeigt, wie bereits um 1700 die kunsthis-
torische Ordnung nach Schulen und Chronologie visuell erprobt
wurde. Die Galleria portatile, die Sebastiano Resta 1706 zusammen-
gestellt und wahrscheinlich Giberto Borromeo geschickt hatte,
weist auf dem Titelblatt programmatisch auf die Ordnung hin.
(Abb. 2) Die 252 Zeichnungen sollten die vier großen italienischen
Schulen der Malerei präsentieren: die Florentinische, Römische,
Venezianische und die Lombardische Schule und damit zugleich
die Verdienste der Carracci vor Augen führen. Mit dieser Form der
Materialordnung legte Sebastiano Resta bewusst ein Gegenmodell zu Vasaris Libro dei
disegni vor. Und ebenso programmatisch war der Bezug zum Museum, den er mit der
goldgerahmten Zeichnung über dem Titel deutlich machte. Sie zeigt die Wand einer
Gemäldegalerie mit einem großen Portal im Zentrum und Stichkappenfenstern zur Be-
leuchtung. Auf den Wandflächen sind dicht neben- und übereinander Gemälde unter-
schiedlicher Größe erkennbar. Die Galleria portatile sollte also als Museum im Kleinen
fungieren, eine Betrachtung wie in einer Galerie ermöglichen und Material für das kenner-
schaftliche und kunsthistorische Studium der Künstler bereit stellen. Zugleich führte sie
aber auch anhand der Zeichnungen vor, dass eine Ordnung nach Schulen als adäquate
Hängung für eine Gemäldegalerie denkbar war.
Die Montage der Blätter in portatilen Galerien wiederum lässt sich auf einer Zeichnung
von Carlo Marratta erkennen, die seinen Freund Sebastiano Resta beim Umblättern eines
seiner Alben zeigt. Hier sehen wir den Kenner und Sammler, wie er sein „Musée imagi-
naire“ besucht und die Werke einer „oculare ispezione“ unterzieht. Restas sichtbare Syste-
matisierung von Malereigeschichte nach Schulen wurde an zwei Orten weiterentwickelt:
an den Wänden von dreidimensionalen Galerien und in denjenigen Kunstbüchern, die
nicht einen Text illustrierten, sondern die eine visuelle Argumentation entfalteten.
Abb. 2
Sebastiano Resta, Galleria Portatile,
Titelblatt, 1706
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur