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501 Bickendorf Marco Lastris L’Etruria pittrice
II.
An diese Tradition schloss Marco Lastri an, als er im Buch und mit Hil-
fe von Reproduktionsgraphiken die Schule der Toskanischen Malerei
bildlich rekonstruierte. So gab er seinem Leser eine Gebrauchsanwei-
sung für L’Etruria pittrice an die Hand, die keinen Zweifel am Primat des
Bildes aufkommen lässt. Mir ist kein zweites Beispiel in der Geschichte
der Kunstgeschichte des italienischen Settecento bekannt, das in die-
ser Eindeutigkeit auf die Macht des Bildes setzt. Mehr noch: Lastri
spielte in seiner Einleitung unmissverständlich das Bild gegen das Wort
aus, das Sehen und die Sichtbarkeit gegen das Schreiben und Lesen:
„Nessuno vorrà dubitare, che la storia delle Belle Arti la più certa si
tragga più agevolmente dai monumenti delle medesime, che dalle
penne degli scrittori. Quindi volendo noi dare un’idea delle vicende
della Pittura in Toscana, lungi da ogni sospetto di parzialità, ci è sem-
brato non poter esservi miglior mezzo di quello, di prender per base le
Opere stesse de’ Maestri più celebri, e nella maniera la sola possibile,
per via di disegno, d’incisione, e di stampa, porle sotto gli occhi degl’
intendenti. Così viene giusa a farsi conoscer l’arte per se stessa, e sen-
za incantesimo effimero delle parole, naturalmente in quel grado di
merito che le conviene.“4
Zunächst erscheint es erkenntnistheoretisch fast naiv, wie Lastri
hier gegen einen angeblich täuschenden Wortzauber polemisiert und
den narrativ verfahrenden Autoren zwar indirekt, aber trotzdem un-
missverständlich unterstellt, dass sie keine zuverlässige Darstellung der
Kunstgeschichte ermöglichen könnten. Entsprechend überpointiert
wirkt der Appell, für die sichere kunsthistorische Erkenntnis Zuflucht in
der unmittelbaren Evidenz der Werke zu suchen. Flankierend dazu trat
Lastri selbst als Verfasser soweit in den Hintergrund, dass sein Name
nicht auf dem Titelblatt von L’Etruria pittrice erschien, sondern lediglich
am Ende der knappen Einleitung auftauchte. Die äußerste Zurücknah-
me seiner Person diente offensichtlich dazu, von vornherein „ogni sospetto di parzialità“,
wie er es selbst formuliert hatte, entgegenzutreten. Unter dem hohen Anspruch der Un-
parteilichkeit, die einen zentralen Ausweis der zeitgenössischen Wissenschaft bildete, trat
er an, die „storia delle Belle Arti“ selbst hier ohne subjektiven Anteil und ohne die manipu-
lierende Hand des Autors auftreten zu lassen.
Die beiden Bände von L’Etruria pittrice enthalten jeweils 60 großformatige Reproduk-
tionsstiche, die durchgehend nummeriert und mit einer Bildunterschrift versehen die ge-
samte Buchseite füllen. Die Textangaben benennen den Titel des Werks, den Künstler, teil-
weise auch die Technik sowie den Ort, an dem sich das Gemälde respektive die Wandma-
lerei befand. Hinzu kamen die Maße der Werke und die Namen der Zeichner und Stecher.
(Abb. 3) Mit diesen Angaben hielt Lastri den Standard ein, den Pierre–Jean Mariette und
Pierre Crozat in ihrem Recueil d’estampes d’après les plus beaux tableaux et d’après les plus
beaux desseins qui sont en France von 1729 und 1742 eingeführt hatten und der europa-
weit für Galeriewerke verbindlich geworden war. Im Gegensatz zu diesen sammlungsbe-
zogenen Werken beschränkte sich Lastri jedoch nicht auf die Präsentation von Gemälden,
die Mariette und Crozat noch durch eine reiche Anzahl von Zeichnungen ergänzt hatten.
Die Gattung definierte er vielmehr im Anschluss an die kunsttheoretische und historiogra-
phische Tradition seit Alberti und Vasari, indem er die Wandmalerei einbezog, während er
die Zeichnung daraus ausschloss. Auf der anderen Seite erweiterte er den klassischen Ka-
non um einen punktuellen Rückgriff auf die Buchmalerei.5 Abb. 3
Giuditta che uccide Oloferne. Quadro
d’Artemisia Gentileschi, in: Marco Lastri,
L’Etruria pittrice, Bd. II, 1795, Tav. LXXXIV
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur