Seite - 299 - in Das linearbandkeramische Gräberfeld von Kleinhadersdorf
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sich, dem damaligen Forschungsstand entsprechend, auf
eine routinemäßige Sterbealters- und Geschlechtsbestim-
mung und eine „Rassentypologie“ auf der Basis der Crani-
almorphologie und -metrik; im besten Fall wurden auch
noch Körperhöhenberechnungen durchgeführt und allge-
meine Beobachtungen über Robustizität und Grazilität an-
gestellt. Krankhafte Veränderungen oder Nahrungsmangel-
symptome, die einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruktion
von z.
B. geschlechts- oder sozialgruppentypischen Lebens-
und Ernährungsgewohnheiten von Altbevölkerungen lie-
fern können, wurden kaum erwähnt, man beschränkte sich
lediglich auf die Darstellung seltener Erscheinungsbilder.
Zimmermann und Lebzelter11 etwa vermerkten die „sehr
kurzen Oberarme“ bei einem Individuum des Kleinhaders-
dorfer Skelettkollektivs, eine Atypie, die sie einer mögli-
chen Rachitis zuschrieben (was sich allerdings im Zuge der
vorliegenden Neubearbeitung der Serie nicht verifizieren
ließ) und Jungwirth geht bei seinen Materialvorlagen fall-
weise auch auf die Zahngesundheit des neolithischen Men-
schen ein12. Erst in den anthropologischen Arbeiten der
jüngeren Vergangenheit wird eine fundamentale Verschie-
bung der Blickrichtung bei der Analyse prähistorischer
menschlicher Skelettpopulationen sichtbar: Kirchengast
und Winkler etwa nahmen im Rahmen ihrer Revision der
demographischen und metrischen Ergebnisse der bereits
von Kloiber publizierten Rutzinger Skelettfunde ein syste-
matisches Screening von Stressindikatoren vor; die Häufig-
keit der Symptome (Cribra orbitalia, Harris-lines und
Zahnschmelzhypoplasien) schrieben sie einer Mangelver-
sorgung und periodisch wiederkehrenden Hungerperioden
zu. Auch bei der Bearbeitung der Skelettreste aus der Sied-
lung von Asparn/Schletz13 und der Serie von Mitterndorf in
Niederösterreich14, die erst kürzlich im Rahmen eines inter-
nationalen Forschungsprojektes (Leiter Alasdair Whittle)
detaillierter beleuchtet wurde, ergaben sich Anhaltspunkte,
11. Lebzelter, Zimmermann 1936.
12. Jungwirth 1977b.
13. Teschler-Nicola et al. 1996.
14. Blesl 2005.
1. Einleitung
„Mit der Entdeckung dieses Gräberfeldes, zu dem sich bald
weitere der Gegend gesellen werden, tritt die Neolithfor-
schung Österreichs in eine neue Phase, indem von nun an
der Prähistorie die Anthropologie zur Aufhellung der wich-
tigen Probleme dieses Zeitalters helfend zur Seite steht.“1
Josef Bayers anlässlich der Entdeckung des ersten früh-
neolithischen Gräberfeldes in Österreich, der Kleinhaders-
dorfer Nekropole, geäußerte Hoffnung hat sich bis heute
nicht bzw. nur in Ansätzen erfüllt. Denn trotz verstärkter
Forschungsaktivität in den letzten Jahrzehnten ist unser
Wissen über die Lebensbedingungen des Menschen, der den
mittleren Donauraum in dieser Epoche besiedelte, lücken-
haft. Das mag zum einen daran liegen, dass neben den aus
Einzelgräbern geborgenen und damit bevölkerungsbiolo-
gisch wenig aussagekräftigen menschlichen Skelettresten
(etwa aus Hankenfeld-Saladorf2 , Wilhelmsdorf3, Emmers-
dorf a. d. Donau4, Pöttsching5 oder Henzing6) bisher nur
wenige größere linearbandkeramische Gräberfelder oder
Deponierungen bekannt sind. Die aus forschungsgeschicht-
licher Sicht älteren Fundkomplexe – ihre Bergung erfolgte
etwa zwischen 1930 und 1960 – stammen aus Taborac bei
Draßburg7 (18 Individuen; die Serie wurde wegen der un-
klaren Fundumstände bisher anthropologisch nie bearbei-
tet) sowie Kleinhadersdorf8 und Rutzing in Oberösterreich
(24 Individuen)9. Die Erstbeschreibungen der beiden letzt-
genannten Skelettkollektive von Kleinhadersdorf und Rut-
zing sowie die späteren, in den 1970er Jahren von Johann
Jungwirth vorgelegten zusammenfassenden Darstellungen
einer Anthropologie des Neolithikums10 konzentrierten
1. Bayer 1931b, 234.
2. Bayer 1921. − Bayer 1923.
3. Hesch 1924.
4. Seewald 1942.
5. Jungwirth 1965.
6. Jungwirth 1977b.
7. Mossler 1949.
8. Lebzelter, Zimmermann 1936.
9. Kloiber, Kneidinger 1970. − Kirchengast, Winkler 1994.
10. Ehgartner, Jungwirth 1959. − Jungwirth, Kloiber 1973. −
Jungwirth 1977a. 299
Das linearbandkeramische Gräberfeld von Kleinhadersdorf
- Titel
- Das linearbandkeramische Gräberfeld von Kleinhadersdorf
- Autoren
- Christine Neugebauer-Maresch
- Eva Lenneis
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-7598-8
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 406
- Schlagwörter
- Neolithic, LBK, cemetery, archaeology, prehistory, Kleinhadersdorf, Lower Austria, Neolithikum, Linearbandkeramik, Archäologie, Urgeschichte, Gräberfeld, Kleinhadersdorf, Niederösterreich
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen