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EINLEITUNG
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Kopftuch tragenden Muslima als passives Opfer – Opfer der deutschen Ge-
sellschaft, Opfer der muslimischen Männer (Beck-Gernsheim 2006: 35).2
In dem Moment, in dem Kopftuchträgerinnen Anspruch auf Integration,
d.h. eine Anstellung im Staatsdienst erhoben, und sich zeigte, dass der/die
Deutsche nicht nur christlich und der/die Muslim/in nicht nur schweigend,
rückwärtsgewandt und unsichtbar ist, wurde das Kopftuch zum Gegenstand
vehementer Debatten. Lehrerinnen mit Kopftuch als Staatsdienerinnen stellen
die Vorstellung von Deutschland als einer ethnisch und kulturell homogenen
Nation ebenso in Frage wie die Konstruktion der ›unterdrückten Muslimin‹
(Weber 2004: 46; siehe auch Terkessidis 1999). Zentraler Gegenstand der De-
batten um das Kopftuch (der Lehrerin) in Deutschland und dessen rechtliche
Regulierung war deshalb neben der Gleichberechtigung der Geschlechter die
Neutralität des Staates. Im konkreten Fall Fereshta Ludins, der die Debatte
und die nachfolgenden Rechtsstreite in Deutschland ins Rollen brachte, wurde
die Ablehnung ihrer Bewerbung auf eine Beamtenstelle als Lehrerin für
Grund- und Hauptschulen in Baden-Württemberg damit begründet, dass das
Kopftuch Ausdruck kultureller Abgrenzung sei und damit nicht nur religiöses,
sondern auch politisches Symbol. Bis dato ist nicht abschließend geklärt, ob
das Kopftuch der Lehrerin gegen das Neutralitätsprinzip und den Gleichbe-
rechtigungsgrundsatz der Geschlechter verstößt oder ob gerade die seit 2003
in verschiedenen Bundesländern implementierten Kopftuchgesetze das bisher
herrschende Verständnis staatlicher Neutralität unterlaufen und obendrein
Grundrechte verletzen.
Kopftuchdebatten und -regulierungen in Europa
Auch in anderen europäischen Ländern ist das muslimische Kopftuch als
Symbol religiöser und kultureller Differenz umstritten. Im Sog internationaler
Ereignisse, aber auch nationaler Mobilisierungsstrategien, wird es mit politi-
schen Bedeutungen und Zuschreibungen aufgeladen und zum Gegenstand von
Konflikten gemacht. Die rechtliche Ausgestaltung sowie die Intensität und
Ausprägung der Debatten unterscheiden sich in den einzelnen Staaten jedoch
beträchtlich. Dabei zeigen die Ergebnisse des europäischen Forschungspro-
jekts ›VEIL‹3, in dessen Rahmen der vorliegende Sammelband entstanden ist,
2 Konvertitinnen als nicht eingewanderte Musliminnen werden dabei häufig nicht
mitgedacht.
3 Das interdisziplinäre Forschungsprojekt ›VEIL – Values, Equality and Differen-
ces in Liberal Democracies. Debates about Muslim Headscarves in Europe‹
wurde im 6. Rahmenprogramm von der Europäischen Kommission gefördert
und von Sieglinde Rosenberger und Birgit Sauer an der Universität Wien koor-
diniert. Das vergleichende Forschungsprojekt will einen Beitrag zu den Ansät-
zen von ›Governing Differences‹ leisten, indem erstens Unterschiede und Ähn-
lichkeiten in Kopftuchregulationen und -debatten auf nationaler und europäi-
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik