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EINLEITUNG
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›neutraler‹ Staat mit deutlich prohibitiven Regelungen, wenn auch nur für
Lehrkräfte.4
In Frankreich und der Türkei als laizitäre Staaten existieren ›prohibitive‹
Regelungen, die alle Formen muslimischer Bedeckung in öffentlichen Ein-
richtungen verbieten. In beiden Ländern besteht nach dem verfassungsrecht-
lichen Selbstverständnis ein Gebot, Religion und Staat so zu trennen, dass die
Religion als Privatangelegenheit aus der öffentlichen Sphäre verbannt wird.
Persönliche Bekundungen religiöser oder weltanschaulicher Art sind in öf-
fentlichen Räumen untersagt. In Frankreich wurde – nach der Vorbereitung
durch eine Kommission unter der Leitung von Bernard Stasi – 2004 ein neues
Gesetz in Kraft gesetzt, welches Schülern und Schülerinnen das Tragen jeg-
licher religiöser Kleidung und Symbole verbietet. Lehrerinnen wie auch an-
dere öffentliche Bedienstete dürfen gemäß dem Laizitätsprinzip der Verfas-
sung erst recht keine religiösen oder weltanschaulichen Zeichen tragen. Stu-
dentinnen an Universitäten ist die muslimische Kopfbedeckung im Prinzip
gestattet (Sanna 2008; siehe auch Sintomer in diesem Band). Für die Türkei
gilt ein noch strengeres Kopftuchverbot, welches seit einer verfassungsge-
richtlichen Entscheidung von 1989 unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet
wird. Artikel 2 benennt die (strikte) Säkularität als eine der wesentlichen
Säulen des türkischen Staates. Für den Universitätsbereich hat ein Erlass für
das höhere Bildungswesen verankert, dass Studierende grundsätzlich zwar
tragen dürfen, was sie wollen, nicht jedoch, was gegen Gesetze oder die
Verfassung verstößt (Çorbacıoğlu 2008). Die muslimische Bedeckung er-
scheint demnach als politische Herausforderung der Säkularität des türkischen
4 Der kurze Überblick betrifft mit Ausnahme der Schweiz im Wesentlichen nur
die im oben erwähnten Forschungsprojekt ›VEIL‹ untersuchten Staaten. Den-
noch ergibt sich auch darüber hinaus kein anderes Gesamtbild: Verbote religiö-
ser Symbole selbst für Schüler/innen sind außer in Frankreich und der Türkei
nur in Albanien und Aserbaijan in Kraft. In den meisten anderen europäischen
Ländern gibt es kaum wesentliche gesetzliche Verbote, das Kopftuch zu tragen.
So ist z.B. in Spanien, Norwegen, Schweden, Finnland, Belgien, der Tschechi-
schen Republik, Ungarn, Polen und der Slowakei das Kopftuchtragen für Schü-
lerinnen (und Studentinnen) grundsätzlich erlaubt. Teilweise gibt es selektive
Regelungen, die etwa bestimmen, dass das Gesicht frei bleiben muss oder
Schuluniformen zu tragen sind. In Norwegen, wo (auch noch) eine Staatskirche
existiert, besteht sogar eine Verpflichtung für staatliche Organe, Minderheitsre-
ligionen die Ausübung ihrer religiösen Riten, kultischen Praktiken und ihres
Gemeinschaftslebens zu erleichtern; siehe Skjeie 2007. In Belgien ist die prakti-
sche Handhabung uneinheitlich und zum Teil mittlerweile eher prohibitv, ob-
wohl es bislang keine gesetzlichen Regelungen gibt; siehe Coene/Longman
2008. Das Kopftuch von Lehrerinnen, anderen öffentlichen Bediensteten, von
Frauen in herausgehobener Funktion, wie Richterinnen oder leitenden Verwal-
tungsverantwortlichen, kommt faktisch so selten vor, dass es in den meisten
Ländern dazu keine praktischen Konflikte und daher auch keine Diskussionen
bzw. Regelungsinitiativen gibt.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik