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PETRA ROSTOCK/SABINE BERGHAHN
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erst seit dem 11. September 2001 eine Debatte über die religiöse, soziale,
kulturelle und politische Symbolhaftigkeit des Kopftuchs geführt wird, iden-
tifiziert Judith Wyttenbach vor allem zwei Diskussionslinien. Die eine betrifft
das Kopftuch im Zusammenhang mit der Stellung der Frau im Islam, die
andere dreht sich um Diskriminierungen von Musliminnen, auch solche auf
Grund des Tragens eines Kopftuchs. Die Schweizer Rechtspraxis ist aller-
dings eine höchst pragmatische, wobei nur wenige Gerichtsentscheide für die
Bereiche öffentliche Schule und Einbürgerung existieren.
Vor dem Hintergrund von Laizität oder Multikulturalismus:
vergleichender Blick auf die deutsche Debatte
Während die Formulierung des ›Neutralitätsgesetzes‹ zu Art. 29 der Berliner
Landesverfassung ebenso wie die öffentlichen Diskussionen vor der Verab-
schiedung dieses Gesetzes stark an die französische Rhetorik der Laizität
erinnern, die 2004 zum Verbot von religiösen Zeichen an öffentlichen Schu-
len führte, zeigt Yves Sintomer neben weiteren Parallelen vor allem Un-
terschiede in den Kopftuchdebatten und -regulierungen zwischen Frankreich
und Deutschland auf. Sowohl die rechtlichen und institutionellen Mecha-
nismen zur Steuerung des Konflikts als auch die politischen Reaktionen, die
Identitätsprobleme sowie die normativen Rahmenbedingungen liegen viel
weiter auseinander, als eine oberflächliche Betrachtung vermuten lässt. Der
umfassende Vergleich lässt die Besonderheit des deutschen Wegs im Streit
über das islamische Kopftuch besser verstehen. In Großbritannien verfolgt
man dagegen sowohl die deutsche Diskussion um das Kopftuch der Lehrerin,
als auch den französischen Diskussions- und Entscheidungsprozess, der zum
Kopftuchverbot in öffentlichen Schulen führte, mit großem Erstaunen. Vor
diesem Hintergrund versucht Stephie Fehr die Frage zu beantworten, »wie
das Tragen eines muslimischen Kopftuchs durch eine Lehrerin in Großbri-
tannien rechtlich bewertet werden würde«. Trotz der relativen Vergleich-
barkeit der allgemeinen Rechtsregeln besteht zunächst wenig Gemeinsamkeit
mit der deutschen Situation. Der Rechtsvergleich deckt jedoch auf, dass das
Vereinigte Königreich zwar als multikulturelle Gesellschaft beschrieben
werden kann, die auf positive Weise kulturelle Vielfalt respektiert und eine
Politik der Chancengleichheit in einer Atmosphäre von Antirassismus und ge-
genseitiger Toleranz befürwortet. Allerdings kann auch dieses System des
Multikulturalismus zu Abgrenzung und Marginalisierung führen, wenn weni-
ger Respekt als vielmehr Gleichgültigkeit praktiziert wird.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik