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SABINE BERGHAHN
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übertragen möchte. Vielerlei Verständnis-, Interpretations- und Argumenta-
tionsdifferenzen tun sich bei diesem Unterfangen auf.
Wenngleich die weibliche Bedeckung in der christlich geprägten Hemis-
phäre nicht als religiöse Pflicht gilt, ist das Kopftuch doch auch in der abend-
ländischen und Neuen Welt aus der Mode und der Sozial- und Geschlechter-
ordnung nicht wegzudenken. Filmschauspielerinnen wie Grace Kelly und
Audrey Hepburn und die viel gerühmten Trümmerfrauen der Nachkriegszeit
kamen nicht ohne aus. Selbst auf der Bühne der internationalen Politik sind
weibliche Kopfbedeckungen solcher Art nicht ungewohnt, denken wir an
locker gelegte Schals von Indira Gandhi oder Benazir Bhutto oder auch –
religions- und gegenwartsnäher – an Angela Merkel 2003 bei einer Papst-Au-
dienz mit schwarzem durchsichtigem Schleier, den sie um Kopf und Hals
gelegt hatte. Bei den genannten Beispielen geht es um modische, praktische
und sozial-konventionelle Belange. Die Kopfbedeckung sieht chic aus, bietet
Schutz vor Regen und Staub, symbolisiert kulturspezifische Schicklichkeits-
normen oder eine weiblich-situative Demutshaltung, die etwa beim Besuch
römisch-katholischer Kirchen in Südeuropa oder bei deren höchstem Wür-
denträger, dem Papst, gefordert ist.
Das muslimische Kopftuch und andere weibliche Verhüllungen, die unter
Berufung auf den Koran getragen werden, stellen jedoch augenscheinlich
mehr als nur Kleidungsstücke dar, wie sie in traditionellen sozialen oder
christlich-klerikalen Zusammenhängen als Zugeständnis an überkommene
Auffassungen von weiblicher Schicklichkeit getragen werden.1 Weil es hier
um den Islam als eine dem Abendland angeblich ›fremde Religion‹ geht und
weil die Motive der meist migrantischen Trägerinnen so vielfältig und in jün-
gerer Zeit durchaus von Überzeugung geleitet sind, wittern viele Angehörige
der deutschen Mehrheitsgesellschaft Ungemach. Sie sehen im Kopftuchtragen
ein widerständiges und abgrenzungsbereites Verhalten von Fremden, die sich
der jeweiligen Landes- oder ›Leitkultur‹ nicht anpassen wollen. Das Kopftuch
wird dadurch zur Projektionsfläche. Es werden ihm Bedeutungen und Bot-
schaften weit über die Rolle als religiös überlieferte soziale Verhaltensregel
hinaus zugeschrieben. Der Zuschreibung wohnt bereits die Ablehnung und
Missbilligung der vermuteten Motive inne, welche die Mehrheitsgesellschaft
für gefährlich und insbesondere einer Lehrerin als Beamtin mit Vorbildrolle
nicht für würdig hält. So steht das ›islamische Kopftuch‹ – anders als der
Nonnenhabit oder die Kopfbedeckung Angela Merkels bei der Papstaudienz –
im Verdacht, Symbol der Unterordnung von Frauen unter Männer (Schwarzer
2006; siehe auch den Rommelspacher und Berghahn/Rostock/Bendkowski in
diesem Band), jedenfalls aber Ausdruck der strengen Geschlechtertrennung
1 Zu den unterschiedlichen Bedeutungen des Schleiers in Orient und Okzident
siehe Braun/Mathes 2007.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik