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Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
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DEUTSCHLANDS KONFRONTATIVER UMGANG MIT DEM KOPFTUCH DER LEHRERIN 39 denn Fereshta Ludin erhob damals Widerspruch und Klage gegen ihre Ablehnung in Baden-Württemberg. Seitdem berichteten die Medien darüber und boten Foren für die Meinungsverschiedenheiten in der Öffentlichkeit. Vor dem ›Kopftuchurteil‹ von 2003 schien es – auch für Juristen und Ju- ristinnen – in Deutschland undenkbar, dass die Problematik des Kopftuchs der Lehrerin anders als nach einheitlichen Kriterien für die gesamte Bundesre- publik entschieden werden würde, denn die Grundrechte des Grundgesetzes (GG), namentlich die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 GG (siehe auch Böckenförde in diesem Band), gelten bundesweit, ebenso wie auch das Abwägungserfordernis zwischen ›positiver‹ und ›negativer‹ Religionsfreiheit der Lehrerin und der Schüler/innen sowie der Art. 33 Abs. 2 GG, der allen Deutschen gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern entsprechend Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung und unabhängig von der Religions- zugehörigkeit (Abs. 3) garantiert. Die Expert/inn/en und Beobachter/innen, auch das beklagte Land Baden-Württemberg, gingen davon aus, dass das BVerfG entscheiden würde, ob man von Staats wegen – unter Einbeziehung der Umstände des Einzelfalls – das Kopftuch als religiöses bzw. persönliches Attribut würde tolerieren müssen und nach welchen Kriterien im Einzelfall legitime persönliche, d.h. vor allem religiöse Gründe, von illegitimen po- litischen Gründen oder Motiven zu unterscheiden seien. Bekanntlich überraschte die Mehrheitsentscheidung des Zweiten Senats jedoch die Experten- und Beobachterschaft. Heraus kam eine Entscheidung, deren Widersprüchlichkeit sich bereits in den beiden Leitsätzen andeutete: Der erste Leitsatz stellte klar, dass ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, im geltenden Recht Baden-Württembergs »keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage« (BVerfGE 108, 282, 282) finde. Der zweite Leitsatz eröffnete den Bundesländern aber sogleich die Möglichkeit, eine solche Verbotsgrundlage zu schaffen. Damit dürfe das »zu- lässige Ausmaß religiöser Bezüge in der Schule« (ebd.) neu bestimmt werden, und zwar aus Anlass »zunehmender religiöser Pluralität« (ebd.), die einen ge- sellschaftlichen Wandel herbeiführe bzw. -geführt habe. Damit wurde einer- seits das individuelle Recht der Beschwerdeführerin anerkannt, ein Kopftuch im Unterricht zu tragen, solange kein spezifisches Verbotsgesetz existiert, womit der Grundrechtsstatus von beamteten Lehrern und Lehrerinnen auf- gewertet wurde. Andererseits aber erteilte die Senatsmehrheit den Bundes- ländern einen faktischen Freibrief, genau dieses Grundrecht des Art. 4 GG bezüglich der Religionsausübung von Lehrerinnen durch relativ anspruchs- lose Verbotsgesetze auszuhöhlen und die pluralistische Freiheitsgarantie des Art. 4 GG zu unterlaufen. Mit dem Urteil des BVerfG erhielt Fereshta Ludin zwar zunächst ›Recht‹, aber nur für einen Augenblick. Weil den Bundesländern die Möglichkeit nun eröffnet war, religiöse, weltanschauliche oder politische Kleidung oder Zei-
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Der Stoff, aus dem Konflikte sind Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Titel
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Untertitel
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Autoren
Sabine Berghahn
Petra Rostock
Verlag
transcript Verlag
Datum
2009
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-89942-959-6
Abmessungen
14.7 x 22.4 cm
Seiten
526
Schlagwörter
Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
Kategorie
Recht und Politik
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