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DEUTSCHLANDS KONFRONTATIVER UMGANG MIT DEM KOPFTUCH DER LEHRERIN
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Kein Gericht hat daran Anstoß genommen (siehe auch Mahrenholz in diesem
Band) – dass es bei den gesetzlichen Verbotstatbeständen nicht auf das Ver-
halten, die Motive der jeweiligen Person oder sonstige Umstände des Ein-
zelfalls ankommt, sondern dass allein die Verwendung eines religiösen Er-
kennungszeichens bzw. dessen ›herrschende‹ Deutung gemäß dem ›objekti-
ven Empfängerhorizont‹ bereits als Gefahr – wenn auch nur als ›abstrakte‹
Gefahr – ausreicht, um als Verletzung von Beamten- oder öffentlichen Be-
dienstetenpflichten angesehen zu werden. Gerichte definieren den Empfänger-
horizont wie folgt:
»Entscheidend« für die Gefahrenprognose sind »die von Dritten wahrgenommenen
Erklärungswerte dieser Bekundung. Alle denkbaren Möglichkeiten, wie das Tragen
eines Kopftuchs verstanden wird, sind zu berücksichtigen, wenn es um die Beur-
teilung geht, ob das Verhalten einen Eignungsmangel begründet« (VG Düsseldorf v.
05.06.2007, Az. 2 K 6225/06, Rn. 38).
Wer nun annimmt, dass es auf das Verständnis der Schüler/innen und Eltern,
mit denen die Lehrerin zu tun hat, d.h. also der konkreten Umfeldpersonen
ankomme, sieht sich getäuscht. Vielmehr wird das Kopftuch einheitlich aus
einer generellen Perspektive interpretiert, die mit dem ›objektiven Emp-
fängerhorizont‹ gemäß dem verfassungsgerichtlichen Urteil von 2003 gleich-
gesetzt wird. In den Gerichtsurteilen findet sich dann meist der schematische
und auf das BVerfG verweisende Zusatz, dass das Kopftuch außer als Be-
kenntnis zum Islam auch als Festhalten an den Traditionen der Herkunfts-
gesellschaft verstanden werden könne, sowie als politisches Zeichen des Isla-
mismus, »das die Abgrenzung zu Werten der westlichen Gesellschaft, wie
individuelle Selbstbestimmung und insbesondere Emanzipation der Frau, aus-
drückt« (ebd.). Die anderen Zitate aus dem Karlsruher Urteil, die auf die Viel-
falt der Motive und die Unmöglichkeit hinweisen, die dahinter stehenden Ein-
stellungen auf wenige problematische zu verengen, werden dagegen nicht zi-
tiert oder jedenfalls nicht als maßgeblich betrachtet.
Auf die Spitze getrieben scheint die konfrontative Logik des Kopftuch-
verbots in den ›Surrogatfällen‹, wenn z.B. eine rosarote Baskenmütze an die
Stelle des muslimischen Kopftuchs getreten ist und auch diese Ersatzbeklei-
dung von der Schulbehörde mit aller Härte sanktioniert wird.
Hier beispielhaft ein Auszug aus einer Entscheidung des Arbeitsgerichts
(ArbG) Düsseldorf, die vom Landesarbeitsgericht (LAG) bestätigt wurde:
»Neben dem Bekenntnis zum Islam und zu dessen Bekleidungsvorschriften kann das
Kopftuch und damit ebenso die Baskenmütze, die von der Klägerin wie ein Kopftuch
getragen wird, auch als ein Zeichen für das Festhalten an Traditionen der Herkunfts-
gesellschaft gedeutet werden. In jüngster Zeit wird im islamischem Kopftuch verstärkt
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik