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DEUTSCHLANDS KONFRONTATIVER UMGANG MIT DEM KOPFTUCH DER LEHRERIN
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richte sahen sich mit einer doppelten Unklarheit der Gesetzesformulierungen
konfrontiert: Zum einen musste der semantische Bedeutungsgehalt der ›Aus-
nahmeklausel‹ herausgearbeitet, d.h. geklärt werden, ob diese Klausel auch
Kleidung und Outfit von Lehrerinnen und Lehrern betreffen kann, und zum
anderen war Stellung zur normativen Frage zu beziehen, ob – wenn es sich
um eine mögliche Ausnahme zu Gunsten christlicher oder jüdischer Klei-
dungsstücke handelt – die Privilegierung christlich-abendländischer Attribute
mit der Pflicht zur Gleichbehandlung aller Religionen vereinbar ist.
Das VG Stuttgart wendete in seiner Entscheidung vom 07.07.200618 die
Argumentation des BVerwG, wonach sich die Klausel nicht auf religiös mo-
tivierte Kleidungsstücke von Lehrkräften beziehe, auf die baden-württem-
bergische ›Ausnahmeklausel‹ an. Es stellte daher fest, dass Schulbehörden die
Klausel – entsprechend den Intentionen der Landesgesetzgebung – fälschlich
als Ausnahmetatbestand zu Gunsten christlicher Kleidung, konkret des Non-
nenhabits, anwendeten. Somit sah das VG Stuttgart in der Verbotspraxis
gegenüber dem islamischen Kopftuch eine unstatthafte Ungleichbehandlung.
Es sei daher nicht zu vereinbaren, dass an einer staatlichen Grundschule mit
ausdrücklicher Billigung des beklagten Landes Nonnen in ihrem Ordenshabit
allgemein bildende Fächer unterrichteten, während der Klägerin die religiöse
Bekundung mittels Tragens ihres Kopftuchs untersagt werde. Der VGH
Mannheim hob die Entscheidung des VG Stuttgart im März 2008 mit der
Begründung auf, dass sich die muslimische Klägerin nicht auf das
unbehelligte Unterrichten der Nonnen berufen könne, welches im übrigen ein
»historisch bedingter Ausnahmefall auf einer einmaligen sondervertraglichen
Grundlage« (VGH Mannheim v. 14.03.2008, Az. VGH 4 S 516/07, VBlBW
2008, 437 ff) sei. Selbst wenn hier ein ›Vollzugsdefizit‹ gegenüber den
Nonnen vorläge, könnte die Muslima ›keine Gleichbehandlung im Unrecht‹
fordern. Da die Revision nicht zugelassen wurde, erhob die betroffene Leh-
rerin, eine zum Islam konvertierte langjährig unterrichtende Pädagogin,
›Nichtzulassungsbeschwerde‹ zum BVerwG, die jedoch mit Beschluss vom
16.12.2008 zurückgewiesen wurde.19 Das oberste Verwaltungsgericht sah
keine Einwände von grundsätzlicher Bedeutung, die nicht schon durch andere
Entscheidungen widerlegt worden seien. Insbesondere hegte das Gericht auch
keinerlei Zweifel daran, dass ein solches generelles Verbot religiös moti-
vierter Kleidung, die erst als solche erkennbar wird, wenn die Trägerin ihre
Motive darlegt, mit der EMRK, dem europäischen Antidiskriminierungsrecht
und dem deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vereinbar
sei. Bezüglich der Referenzen auf christlich-abendländische Werte verwies
das Gericht erneut auf seine Auslegung aus dem Jahre 200420 und interpre-
18 VG Stuttgart v. 07.07.2006, Az. 18 K 3562/05, NVwZ 2006, 1444 ff.
19 BVerwG v. 16.12.2008, Az. 2 B 46.08.
20 BVerwG v. 24.06.2004, BVerwGE 121, 140 ff.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik