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Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
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DEUTSCHLANDS KONFRONTATIVER UMGANG MIT DEM KOPFTUCH DER LEHRERIN 49 bestimmung feststellen, wozu sie gerade nicht befugt wären. Vielmehr gelan- gen sie durch ihre modifizierende Auslegung zur gegenteiligen Auffassung, nämlich zur Verfassungskonformität der gesetzlichen Regelung, und brauchen deshalb die Frage der Vereinbarkeit nicht dem BVerfG vorzulegen. Dies alles geschieht allerdings um den Preis der oft wenig plausiblen ›Uminterpre- tation‹, die vielfach – wie hier – den Willen der Gesetzgebung bewusst ver- fälscht. Letzteres wäre in diesem Fall hinzunehmen, da die Intention der Ge- setzgebung bestimmter Bundesländer wegen der Ungleichbehandlung der Re- ligionen ohnehin verfassungswidrig war und daher auch nicht umgesetzt wer- den dürfte. Jedoch bewirkt die interpretative Korrektur durch die Gerichte hier eine ›Rettung‹ des (verfassungswidrigen) gesetzgeberischen Anliegens, nämlich faktisch ausschließlich das ›islamische Kopftuch‹ zu verbieten. Welches doppelbödige Erscheinungsbild der Staat insgesamt, bestehend aus Gesetzgebung und Rechtsprechung, bietet, bleibt in der Rechtsprechung unreflektiert. Insbesondere täuscht die ›Rettungsaktion‹ darüber hinweg, dass die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte leiden müssen, wenn der offenkundig intendierte Verfassungsverstoß (Un- gleichbehandlung und Messen mit zweierlei religiösem Maß) keinerlei nega- tive Konsequenzen für die Anwendbarkeit des Verbotsgesetzes gegen die da- mit einseitig und vornherein ausgegrenzten Personen, also Kopftuch tragende Lehrerinnen, hat. Die Gerichte stellen eine Verfassungskonformität der Lan- desgesetze durch die umdeutende Bagatellisierung entsprechender Ausnah- meklauseln her, halten dies wahrscheinlich für einen Ausweis ihrer richter- licher Unabhängigkeit, versagen aber denen den Rechtsschutz, die auf die menschen- und individualrechtliche ›Parteinahme‹ seitens der Gerichte zen- tral angewiesen sind. Damit verfehlen sie einen wesentlichen Zweck ihrer ei- genen Existenz, nämlich Garant der Durchsetzung individueller Grund- und Menschenrechte zu sein. Die Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG beim BVerfG wäre dagegen die korrektere Handlungsalternative gewesen. Ein ver- fassungswidriges Gesetz könnte nachgebessert werden, ein rechtsstaatlich ›abgesegneter‹ verweigerter Berufszugang, eine Entlassung aus dem öffent- lichen Dienst oder ein Zwang wider die eigene Überzeugung zu handeln, schaffen irreversible individuelle Schäden. Da dies wohl kaum durch erheb- liche Gefahren für Andere oder wichtige Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt werden kann, dürfte hier Unrecht geschehen sein, was die Gerichte gerade hätten verhindern können. Tatsächlich drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Gerichte in den Bundesländern eher dem mittleren Weg zwischen dem reinen Gehorsam gegenüber der landesrechtlichen Staatsräson (Ergebnis: Kopftuchverbote, aber Gestattung christlicher Zeichen) und der politischen Auflehnung gegen ihren eigenen föderalen Dienstherrn (Zweifel an der Ver- fassungskonformität der veränderten Landesgesetze) verpflichtet fühlten als der Rechtsdurchsetzung zu Gunsten bedrängter Individuen.
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Der Stoff, aus dem Konflikte sind Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Titel
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Untertitel
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Autoren
Sabine Berghahn
Petra Rostock
Verlag
transcript Verlag
Datum
2009
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-89942-959-6
Abmessungen
14.7 x 22.4 cm
Seiten
526
Schlagwörter
Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
Kategorie
Recht und Politik
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