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SABINE BERGHAHN
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Maßstab: Das Antidiskriminierungsrecht der EG
Welche Impulse sind nun vom europäischen Antidiskriminierungsrecht in der
›Kopftuchfrage‹ ausgegangen? In Bezug auf Lehrerinnen und andere Beschäf-
tigte im öffentlichen Dienst haben EU-Mitgliedstaaten sich an die Diskrimi-
nierungsverbote der EU-Richtlinien37 zu halten, wonach unmittelbare und
mittelbare Benachteiligungen u.a. wegen der Religion oder Weltanschauung,
der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts zu unterbinden sind. Zuge-
lassen sind nur enge Ausnahmen, die durch die Anforderungen der konkreten
beruflichen Tätigkeit bedingt und verhältnismäßig sein müssen. Es sind mitt-
lerweile in allen EU-Ländern ›Gleichbehandlungskommissionen‹ eingerichtet
worden, die mehr oder weniger effektiv Diskriminierungsfällen nachgehen.
Auch Nicht-EU-Staaten sind durch Menschenrechtskonventionen sowie
Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) daran gebunden,
Diskriminierungen auf Grund der genannten Merkmale im Erwerbsleben zu
verhindern (Loenen 2006). Ob das Kopftuch von Arbeitgebern und/oder im
öffentlichen Beschäftigungsbereich untersagt werden darf oder ob darin eine
verbotene Diskriminierung auf Grund der Religion, der Ethnie oder des Ge-
schlechts zu sehen ist, wurde bislang allerdings vom Gerichtshof der Euro-
päischen Gemeinschaft (EuGH) in Luxemburg nicht entschieden. Bevor auf
konkrete Argumente für die Unvereinbarkeit mit EG-Antidiskriminierungs-
recht und mit dem deutschen AGG eingegangen wird (s.u.), soll zunächst die
auf den ersten Blick entgegenstehende Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte betrachtet werden.
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte
Der EGMR in Straßburg, ein Organ des Europarats, hat bereits mehrfach in
Sachen Kopftuch, kürzlich sogar gegen das Tragen eines Turbans (auf dem
Führerscheinfoto eines Sikhs), entschieden (Human Rights Watch 2009).38
2001 erging eine Entscheidung im Fall der Lehrerin ›Lucia Dahlab v.
Switzerland‹ und 2005 eine weitere im Fall der Studentin ›Leyla Sahin v.
Turkey‹. In allerjüngster Zeit wurden die Beschwerden von zwei Mädchen in
Frankreich, die wegen Kopftuchtragens im Sportunterricht bereits 1999 von
der Schule gewiesen worden waren, abschlägig beschieden.39 Im Ergebnis
blieben dabei die Kopftuchverbote unbeanstandet.
37 Siehe insbesondere die Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG.
38 EGMR, Mann Singh v. France, Antrag Nr. 24479/07, Pressemitteilung des
EGMR v. 27.11.2008.
39 EGMR, Kervanci v. France, Antrag Nr. 31645/04, Pressemitteilung des Kanz-
lers des EGMR v. 04.12.2008.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik