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Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
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SABINE BERGHAHN 66 müssen. Tulkens widerlegte explizit die beiden Argumente, dass der verfas- sungsrechtliche Säkularismus der Türkei und die Geschlechteregalität durch das Kopftuch in Frage gestellt würden. Sie ging auf die unausgesprochen in das Verfahren eingebrachte Befürchtung ein, dass islamistische Praktiken im Bildungssystem und in anderen öffentlichen Sektoren sich ausbreiten und einen faktischen Zwang für andere Studentinnen und Frauen allgemein eta- blieren könnten, das Kopftuch – gegen ihren Willen – anzulegen. Solche Gefahren seien staatlicherseits beherrschbar und dürften nicht als paterna- listische Vorwände benutzt werden, um Individuen, zu deren Schutz die Reli- gionsfreiheit diene, legitime Persönlichkeitsentfaltungsrechte zu nehmen.42 Die Kritik von Tulkens wird in der Szene der Expert/innen mit liberalem, frauenpolitischem und multikulturellem Hintergrund geteilt; daher hofft man allgemein auf gegenläufige Impulse anderer Gerichte und aus der Politik in Mitgliedstaaten, insbesondere wird vom EuGH erwartet, dass er Gelegenheit dazu bekommt, die individualrechtliche Perspektive des Antidiskriminie- rungsrechts stark zu machen. Der Europäische Gerichtshof: bislang keine Entscheidung zum Kopftuch Entscheidungen des EuGH zu ›Kopftuchfällen‹ gibt es allerdings bislang nicht. Es ist aber vorstellbar und im Hinblick auf Fälle von deutschen Lehre- rinnen sogar wahrscheinlich, dass der EuGH von einem deutschen Gericht im Rahmen des Verfahrens zur ›Vorabentscheidung‹ (Art. 234 EGV) angerufen wird. In einem solchen Fall stehen die Chancen nicht schlecht, dass der EuGH solche Fälle ganz anders beurteilt als der EGMR. Denn der EuGH legt seit jeher großen Wert auf eine möglichst weit gehende tatsächliche Durchsetzung von Diskriminierungsverboten vor allem im Arbeitsleben und betrachtet daher auch beamtete Lehrerinnen in erster Linie als Arbeitnehmerinnen, die ihr Recht auf Religionsfreiheit und -ausübung wahrnehmen dürfen. Die einschlä- gige EuGH-Rechtsprechung besteht aus zahlreichen Entscheidungen zu per- sönlichen Diskriminierungen vornehmlich im Arbeitsrecht, aber auch in der sozialen Sicherung, in Qualifizierungen und im Zivilrecht, größtenteils ging es dabei um Benachteiligungen in Bezug auf das Geschlecht. Vor 2000 gab es nämlich nur Richtlinien mit Diskriminierungsverboten bezüglich des Ge- schlechts für die Mitgliedstaaten, seit 2000 existieren dagegen Richtlinien mit dem erweiterten Merkmalskatalog, die mittlerweile in nationale Verbots- und Schutzgesetze umgesetzt wurden. Als tangiertes Diskriminierungsmerkmal kommt hier in erster Linie Religion in Frage, sodann aber auch Geschlecht und Ethnie, da nur Frauen von dem islamischen Bedeckungsgebot betroffen 42 Ebd., Dissenting Opinion of Judge Tulkens im ›Fall Şahin v. Turkey‹, S. 42-53.
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Der Stoff, aus dem Konflikte sind Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Titel
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Untertitel
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Autoren
Sabine Berghahn
Petra Rostock
Verlag
transcript Verlag
Datum
2009
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-89942-959-6
Abmessungen
14.7 x 22.4 cm
Seiten
526
Schlagwörter
Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
Kategorie
Recht und Politik
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