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NORA GRESCH/LEILA HADJ-ABDOU
76 davon ausgegangen, dass Länder mit einer vergleichsweise stark institu-
tionalisierten Antidiskriminierungspolitik die Sichtbarkeit religiöser Dif-
ferenzen im öffentlichen Raum eher anerkennen als Länder ohne eine
ausgeprägte Institutionalisierung von Antidiskriminierungsgesetzen. Denn
so würde eine Einschränkung oder ein Verbot von muslimischer Körper-
verhüllung selbstverständlicher als Diskriminierung beurteilt werden
(McGoldrick 2006; Perchinig 1999).
(3) Der dritte wichtige Erklärungsfaktor, um die unterschiedlichen staatlichen
Implementierungen zur ›Regierung‹ kultureller und religiöser Differenzen
zu verstehen, bezieht sich auf die verschiedenen Institutionalisierungen
der Kirche-Staat-Beziehungen. So betonen zum Beispiel Joel Fetzer und
Christopher Soper, dass »the development of public policy on Muslim re-
ligious rights is mediated [...] by the different institutional church-state
patterns« (Fetzer/Soper 2005: 7).
(4) Ein letzter Erklärungsfaktor stellt die jeweilige sozioökonomische und
demographische Zusammensetzung der muslimischen Bevölkerung in ei-
ner Gesellschaft dar. Jen’nan Ghazal Read betont in diesem Zusam-
menhang, dass die Anerkennung von religiösen Praktiken auch von Mög-
lichkeiten und Ressourcen zur Selbstorganisation und des politischen
Lobbying abhängig ist (Read 2007: 233).
Diese Faktoren für sich genommen können jedoch die Kopftuchpolitik in
Österreich kaum umfassend erklären. Obwohl Österreich einem ›ethno-kultu-
rellen Citizenship Regime‹ zuzuordnen ist sowie keine Antidiskrimi-nierungs-
tradition aufweist und die Mehrheit der Muslime und Musliminnen tatsächlich
nur schwach durch politische oder zivilgesellschaftliche Gruppen repräsen-
tiert sind, gilt die Kopftuchregulierung als eine der ›tolerantesten‹ in Europa.
Um dieses Paradox erklären zu können, werden wir im Folgenden die
genannten Faktoren in ihrem wechselseitigen Aufeinanderbezogensein analy-
sieren, um zu untersuchen, inwieweit die jeweiligen Erklärungsfaktoren die
eher geringen Partizipationsmöglichkeiten von Muslimen und Musliminnen in
Österreich bei ›nicht-regulativem‹ Modell plausibel machen.
Wir konzentrieren uns somit auf die Analyse der Regulierung von
Partizipations- oder Teilhabemöglichkeiten, da die Zugehörigkeit und Teil-
nahme an politischen Gemeinschaften neben individuellen Rechten und
Pflichten eine wesentliche Komponente des Verhältnisses von Staat und In-
dividuen ansprechen (Siim 2000: 1). Dieser Fokus lässt auf der einen Seite die
Ungleichheiten in den Gestaltungsmöglichkeiten von Lebensbedingungen
deutlich werden und stellt auf der anderen Seite die aktuellen Diskussionen
um Anerkennung von kulturellen und religiösen Differenzen in den größeren
Kontext der gegenwärtigen »politics of belonging« (Yuval-Davis 2007: 561).
Dabei geht es um die Analyse der Beziehungen von ›Citizenship‹ und der
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik