Seite - 82 - in Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Bild der Seite - 82 -
Text der Seite - 82 -
NORA GRESCH/LEILA HADJ-ABDOU
82
Erklärungsfaktoren für das
›tolerante‹ Kopftuchregime und
Partizipationschancen von Musliminnen
Der ›Citizenship‹ Faktor:
Ist Österreich ein Einwanderungsland?
In Österreich weisen 16 Prozent der Gesamtbevölkerung einen Migrations-
hintergrund auf. Damit hat das Land einen der höchsten Anteile an Zuwan-
derung in der EU (Lebhart/Marik-Lebeck 2007: 181). Die Bedeutung von Mi-
gration und die Migrationsgeschichte spiegeln sich jedoch kaum in kollek-
tiven Selbstbildern oder einer aktiven Integrationspolitik wieder. Österrei-
chische Migrations- und Integrationspolitiken sind vielmehr weit gehend
durch das Prinzip des Ausschlusses gekennzeichnet. Dieser exklusionistische
Ansatz zeichnet sich durch eine Verweigerung von Aufenthaltssicherheit und
eine restriktive Vorgangsweise bezüglich des Familiennachzugs sowie der
Verleihung der Staatsbürgerschaft aus. Vor allem aber existiert die Überzeu-
gung kein Einwanderungsland zu sein (Çinar et al. 1999: 67).
Die jüngere Migrationsgeschichte in Österreich setzte mit der Arbeits-
kräfterekrutierung von Gastarbeitern und Gastarbeiterinnen in den 1960er
Jahren ein. Im westeuropäischen Vergleich waren Rechte wie ›sicherer Auf-
enthalt‹ und ›Freizügigkeit der Beschäftigung‹ für diese Gruppen jedoch
schwach ausgebaut. Der Aufenthalt der Gastarbeiter/innen war vom österrei-
chischen Staat nur als temporär konzipiert, Integration wurde nicht als Ziel
verfolgt. Im Zuge von Familiennachzug kam es jedoch zu einer langfristigen
Niederlassung der eingewanderten Gruppen. Der Staat führte indessen die
Gastarbeiterpolitik weiter, was zu einer ethnischen Segmentierung des Ar-
beitsmarkts führte und spezifische Abhängigkeiten zugewanderter Menschen
von Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen verstärkte (Bauböck/Perchinig 2006:
730 f). Insbesondere in den 1990er Jahren war die österreichische Migra-
tionspolitik eine »Politik anhaltender Ausgrenzung, in der es zwar ständig zu
Anpassungen, aber zu keinem Wechsel zu einem Inklusionsparadigma« (Pil-
gram/Steinert 2000: 24) kam.
Mit der Implementierung von neuen Fremdenrechtsbestimmungen in den
Jahren 2002 und 2003 kam es teilweise zu weiteren Verschärfungen (Kö-
nig/Stadler 2003). Die Errichtung strikter Einwanderungskontrollen seit Be-
ginn der 1990er Jahre führte nicht zur Ausformulierung aktiver Integra-
tionspolitiken (Çinar/Waldrauch 2007: 50). Entgegen dem Trend in westeuro-
päischen Einwanderungsgesellschaften hält Österreich nach wie vor an einem
›ius sanguinis‹-basierten Modell fest: Rechtsansprüche auf Staatsangehörig-
keit bei Geburt im Inland und Wahlrecht für Ausländer und Ausländerinnen
auf kommunaler Ebene werden nach wie vor kategorisch ausgeschlossen
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik