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SELIGE MUSLIMINNEN ODER MARGINALISIERTE MIGRANTINNEN?
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Diese Formulierung sowie die Art und Weise des Ablaufs und der Klärung
der Konfliktfälle verweisen auf die zentrale Bedeutung und die Rechte der
IGGiÖ als einer anerkannten Religionsgemeinschaft in Österreich, was die
Relevanz der Unterscheidung von anerkannten und nicht anerkannten Reli-
gionsgemeinschaften einerseits und der damit einhergehenden Rechte ande-
rerseits impliziert. Dass genau diese spezifische Kombination der Anerken-
nung des Islams als ›Körperschaft öffentlichen Rechts‹ und der daran gekop-
pelten Gewährung von weit reichenden korporativen Rechten höchst bedeut-
sam für die Teilhabemöglichkeiten an der österreichischen Gesellschaft ist,
werden wir im folgenden Abschnitt erläutern.
Als eines der wenigen Länder Europas hat Österreich schon 1874 die
Bedingungen der Anerkennung von Religionen durch das ›Gesetz […]
betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften‹ defi-
niert und normiert (Kalb et al. 2003: 93), so dass die Anerkennung von
Religionsgemeinschaften als ›Körperschaften öffentlichen Rechts‹ einen »an-
tragsbedürftige[n] Verwaltungsakt« (ebd.: 105) darstellt, der von jeder Reli-
gionsgesellschaft beantragt werden kann, die diese Voraussetzungen meint zu
erfüllen. Interessant für unsere Fragestellung ist nun, dass der Islam nicht auf
Grund dieses ›Anerkennungsgesetzes‹, sondern mit Hilfe eines speziellen
Gesetzes, des ›Islamgesetzes‹, schon 1912 anerkannt wurde, was historisch
den
»erste[n] Versuch [darstellte], den europäischen Islam in einen multikonfessionellen
Rechtsstaat mit einem speziellen religionsrechtlichen System zu integrieren, dem das
Konzept zu Grunde lag, den Religionsgemeinschaften eine öffentlich-rechtliche
Stellung einzuräumen« (Potz/Schinkele 2005: 185).
Des Weiteren ist es wichtig zu erwähnen, dass diese Form der Anerkennung
noch nicht die Gewährleistung der »Korporationsrechte« (Schima 1989: 548)
mit sich brachte, welche die bis zu diesem Zeitpunkt anerkannten Religions-
gemeinschaften für sich in Anspruch nehmen konnten. Vielmehr bedeutete
die Anerkennung nach dem ›Islamgesetz‹ lediglich die Schaffung eines ge-
setzlich anerkannten »Religionsbekenntnisses« (Schima 1989: 548), da es auf
Grund der Annexion von Bosnien-Herzegowina durch die österreichisch-
ungarische Monarchie 1908 zu einem erheblichen und wachsenden Bevölke-
rungsanteil von Musliminnen und Muslimen in der Monarchie gekommen
war (Potz 1993: 137 f; Pintz 2006: 41 ff). Jedoch bildeten die Bestimmungen
dieses Gesetzes sowie des ›Anerkennungsgesetzes‹ von 1874 die Grundlage
für die spätere korporative Institutionalisierung (Schima 1989: 546).
Der Antrag auf Anerkennung zur Errichtung einer islamischen Religions-
gemeinde und damit zur Gewährung der Korporationsrechte wurde zum
ersten Mal 1971 von dem Verein ›Muslimischer Sozialdienst‹ gestellt, der
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik