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NORA GRESCH/LEILA HADJ-ABDOU
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rücksichtigt also immer das gegenseitige Aufeinanderbezogensein von Struk-
turen oder institutionalisierten Regelungen und deren Herstellung oder An-
wendung. Dabei geht es zudem um eine Analyse des historisch spezifischen
Zusammenspiels von »Strategien von Kräfteverhältnissen, die Typen von
Wissen stützen und von diesen gestützt werden« (Foucault 1978: 123). Ein
Dispositiv erfasst damit immer die Untersuchung von Struktur und Prozess
zugleich.
Fasst man dementsprechend unter ›Kopftuchdispositiv‹ nicht nur die
Gesamtheit rechtlicher Regulierungen, sondern auch die gelebten Erfahrungen
von Kopftuchträgerinnen zusammen, ist das österreichische ›Kopftuchregime‹
demnach als ›rechtlich tolerant bei weit gehendem Ausschluss‹ zu bezeich-
nen. So sind Kopftuchträgerinnen trotz religiöser Rechte vor allem auf Grund
ihres Status als Migrantinnen in einem exkludierenden ›Citizenship Regime‹
und schwachen Antidiskriminierungsregime von wesentlichen und gleichbe-
rechtigten Partizipationsmöglichkeiten ausgeschlossen.
Anerkennung im Widerspruch zu Teilhabe?
Nancy Fraser hat vermehrt darauf hingewiesen, dass in einer Zeit, in der
ökonomische Ungleichheit zunimmt, die Anerkennung von kultureller Diffe-
renz an Bedeutung gewinnt. Ansprüche auf Anerkennung werden nicht durch
Umverteilung und soziale Gerechtigkeit ergänzt. Vielmehr ersetzen Diskurse
der Anerkennung diejenigen der Umverteilung (Fraser 2003: 22). So liegt
auch in der österreichischen Selbstrepräsentation von Musliminnen und
Muslimen der Fokus auf der existierenden Anerkennung und dem ›toleranten‹
Kopftuchregime. Ein weit gehender Ausschluss aus wesentlichen gesell-
schaftlichen Bereichen wie dem Arbeitsmarkt hat bisher kaum Konflikte zur
Folge. Aktive staatliche Maßnahmen gegen den Ausschluss von Kopftuch tra-
genden Frauen fehlen.
Eine zweite Problematik, die Fraser im Hinblick auf die Anerkennung von
Differenzen anspricht, bezieht sich auf die auf Grund von Anerkennung statt-
findende Vergegenständlichung von Gruppenidentitäten, welche wiederum zu
einer Verstärkung der Dominanzstrukturen innerhalb einer Gruppe führen
kann (ebd.: 26). So ist auch in Österreich anhand der ›Kopftuchdebatten‹ –
abgesehen von Vertreterinnen der IGGiÖ – ein weit gehendes Fehlen öffent-
lichkeitswirksamer Stimmen von Musliminnen festzustellen. Bedeutet dies
schließlich, dass es im Sinne der Teilhabe von muslimischen Frauen eine
Verlagerung der Aufmerksamkeit weg von der Anerkennungsebene braucht?
standsform gegen die Sexualisierung und Vergegenständlichung des weiblichen
Körpers darstelle.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik