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SELIGE MUSLIMINNEN ODER MARGINALISIERTE MIGRANTINNEN?
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Versteht man Partizipation von (bisher) benachteiligten Gruppen als eine
wesentliche Frage von Gerechtigkeit, ist anlehnend an das Postulat von Fraser
und anderen festzuhalten, dass es beides braucht: Umverteilung und Anerken-
nung (Fraser 2003; Lister et al. 2007: 49). So verdeutlicht auch Parekh, dass
Anerkennung und Umverteilung miteinander in einem Wechselverhältnis
stehen. So sei etwa eine Grundvoraussetzung für Umverteilung, dass die
Forderungen von Gruppen überhaupt in einem dialogischen Verhältnis gehört
werden, wofür wiederum Anerkennung nötig ist. Parekh verdeutlicht dies
anhand des (teilweise metaphorischen) Beispiels von differenten Sprachen:
»If it were to require all participants in a single language, it would not only
fail to render other languages their due but also enshrine the domination of the
group or culture it represents« (Parekh 2004: 207). Andererseits werden auch
kulturelle Identitäten erst dann wertgeschätzt und in Folge anerkannt, wenn
sie bestimmte gesellschaftliche Konventionen von Erfolg erfüllen, und diese
sind in zeitgenössischen westlichen Gesellschaften wesentlich durch eine
ökonomische Position bestimmt (ebd.: 208). Parekh betont schließlich, dass
Gerechtigkeit nicht nur den Staat, sondern die Gesellschaft als Ganzes betrifft.
So kann Umverteilung zwar vom Staat ausgehen, aber Anerkennung bedarf
auch der praktischen Anerkennung durch andere Gesellschaftsmitglieder.
Selbstachtung und Selbstbewusstsein konstituieren sich in sozialen Prozessen.
Der Staat kann dabei unterstützend wirken, indem er die Würde und Rechte
seiner Bürgerinnen und Bürger schützt, jedoch ist dies nicht als hinreichend
zu erachten (ebd.: 211).
In Bezug auf Österreich ist daher schließlich festzuhalten, dass sowohl der
Staat in zentralen Bereichen, wie Integrations- und Antidiskriminierungspo-
litik, als auch die Gesellschaft gefragt sind, um über religiöse Anerkennung
hinaus ein ›Kopftuchregime‹ zu schaffen, das von Teilhabe und gleichberech-
tigtem Status muslimischer Frauen gekennzeichnet ist.
Literatur
Abid, Lise (2000): Ȇber Probleme und Chancen bei der Integration von
Muslimen in Wien«, Islam heute, abrufbar: http://www.islamheute.ch/
abid.html, 07.11.2008 [ursprünglich erschienen in der Wiener Zeitung].
Amiraux, Valérie (2007): »The Headscarf Question: What is really the
issue?«. In: Samir Amghar/Amel Boubekeur/Michael Emerson (Hg.):
European Islam. Challenges for Public Policy and Society, Brussels:
Centre for European Policy Studies, S. 124-143, abrufbar: http://shop.
ceps.eu/BookDetail.php?item_id=1556, 07.11.2008.
Amir-Moazami, Schirin (2007): Politisierte Religion. Der Kopftuchstreit in
Deutschland und Frankreich, Bielefeld: transcript.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik