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DASKOPFTUCH UND SEINE VERWICKLUNGEN
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einer irenischen Aufgabe, Schulfrieden mit den Eltern zu halten, sondern,
»unter Berücksichtigung des Toleranzgebots als Ausdruck der Menschen-
würde (Art. 1 Abs. 1 GG) nach einem Ausgleich« (S. 301; unter Bezugnah-
men auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG) zu suchen. Dieses Suchen
kann durchaus seine Grenzen finden. So lässt sich die Ganzkörperver-
schleierung einer Schülerin während des Unterrichts von Verfassungs wegen
nicht hinnehmen (Mahrenholz 2007: 293; dort unter Betonung des Bildungs-
und Erziehungsauftrags des säkularen Staates als Grenze der Religions-
freiheit).
Das Spektrum der Möglichkeiten umfasst etwa den Einsatz der in Rede
stehenden Lehrerin in Schulen innerhalb vorwiegend muslimischer Quartiere,
ihren Einsatz – vor allem gegebenenfalls als Klassenlehrerin – nur in Klassen
mit reiferen Jahrgängen; die Vermeidung des Einsatzes in der Grundschule,
zumindest in den ersten beiden Klassen; den Einsatz nur mit vorgängiger
Vorstellung der Eltern in Beisein der Schulaufsichtsbehörde; abgekürzte Fri-
sten für Unterrichtsbesuche und Elternkonferenzen usw. Eine Schulbehörde
dürfte ein noch breiteres Arsenal vor Augen haben als hier aufgeführt. Diese
Verantwortung wahrzunehmen, muss im Konfliktfall zur Intervention des
Schulleiters oder der Schulbehörde durch Anberaumung von Konferenzen
führen. Die Behörde hat Eltern und Schülern gegenüber klarzustellen, dass sie
eine aus der verfassungsrechtlich vorgegebenen Integrationsaufgabe des
Staats herrührende Pflicht hat, den Respekt, den jede gelebte Glaubensüber-
zeugung verdient, die nicht missionieren will, auch in der Schule zur Geltung
zu bringen, wie dies seit dem siebten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts im
Übergang von der konfessionellen zur integrativen Schulerziehung auch ge-
schehen ist. Äußerstenfalls – je nach Sachlage – kann die Versetzung einer
Lehrerin in Betracht kommen, sei es an eine andere Schule oder in einen an-
deren Schulort.
Bei Aktivitäten des Staates dieser Art handelt es sich um das klassische
Instrumentarium der Schulverwaltung, wenn an einer Schule Konflikte, aus
welchem Grunde auch immer, entstehen. Es wäre die Aufgabe des Senats
gewesen, in erster Linie zu prüfen, ob es am nächsten liegt, dieses Instru-
mentarium anzuwenden. Der Senat hätte dies umso eher tun müssen, als das
BVerfG das Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Verfassungsprinzip erhoben hat
– ein Prinzip, von dem freilich nichts bleibt, wenn der Gesetzgeber in ge-
neralisierender Betrachtung die Bewertung des Kopftuchs in die Hand nimmt
(siehe auch Walter/Ungern-Sternberg 2008b: 489 in gründlicher grundrechts-
dogmatischer Untersuchung).
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik