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DIE PLENARDEBATTEN UM DAS KOPFTUCH IN DEN DEUTSCHEN LANDESPARLAMENTEN
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Parallelgesellschaften, ja letztlich mit der Einführung der Scharia in Verbin-
dung gebracht.24
Die Unvereinbarkeit des – vermeintlich politischen – Symbols ›Kopftuch‹
mit den Verfassungsgrundsätzen unterscheide dieses gerade von anderen
Symbolen wie etwa dem Kreuz. Zwar forderten die Rednerinnen und Redner
der CDU meist nicht offen eine Ungleichbehandlung religiöser Symbole, dies
war aber in diesem Fall die Zielsetzung, wie beispielhaft ein Zwischenruf in
Hessen zeigt: Hier antwortete der CDU-Abgeordnete Hans-Jürgen Irmer auf
die Feststellung des Grünen Tarek Al-Wazir, die Position der CDU sei »Kopf-
tuch nein, Kreuz ja«: »Völlig richtig, so gehört sich das auch!« (HE PlPr.
16/30: 1902; siehe auch die aktuelle Stunde in HE PlPr. 16/17: 985 ff). Zen-
trale Argumentationsfigur in den Beiträgen der Unionsparlamentarier war das
›Abendland‹ und seine Werte und Traditionen, die auch die Grundwerte der
bundesdeutschen Verfassung darstellten und vom Christentum symbolisiert
würden. Die Aufklärung sei gewissermaßen die logische Folge des Christen-
tums (NW PlPr. 14/12: 1017). So repräsentiere das Kreuz das »Christentum
als Quelle unserer Kultur, daraus erwachsen Menschenrechte, Demokratie,
Gewaltenteilung« (SL PlPr. 12/669: 3684). Für die CDU hat dieses christliche
Privileg gerade angesichts der multikulturellen Entwicklung deklaratorische
Bedeutung und dient auch dazu, sich des Wertefundaments der eigenen Ge-
sellschaft zu vergewissern. Eine Ungleichbehandlung der Religionen wird da-
bei als verfassungskonform angesehen:
»Das Bundesverfassungsgericht hat […] anerkannt, dass bei der Gestaltung einer Ver-
haltensregelung Schultradition und die konfessionelle Zusammensetzung und Verwur-
zelung der Bevölkerung berücksichtigt werden darf. Im christlich geprägten Deutsch-
land kann es dabei keine aus der Verfassung abgeleitete Verpflichtung geben, alle Re-
ligionen gleich zu behandeln. Eine Privilegierung christlicher Bildungs- und Kul-
turwerte ist daher aus unserer Sicht zulässig« (Abg. Henkel (CDU), BE PlPr. 15/62:
5198).
Integrationspolitisch steht hinter den Argumenten der Union die Vorstellung,
dass es für den Zusammenhalt der Gesellschaft wesentlich sei, das eigene
Wertefundament klar herauszustellen und deren religiöse Quelle – das Chris-
tentum – sichtbar zum Ausdruck zu bringen. Deshalb sei eine Bevorzugung
des Christentums zu rechtfertigen. Zusätzlich avanciert ein Verbot des Kopf-
tuchs geradezu zum Mittel der Integration muslimischer Mädchen, da deren
Emanzipation nur durch die Schaffung eines ›Freiraums‹ ermöglicht würde.25
Eine Lehrerin mit Kopftuch wirke integrationshemmend, denn dadurch stelle
24 Siehe auch HE PlPr. 16/30: 1898.
25 NW PlPr. 13/99: 9899.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik