Seite - 22 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
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zur Landstraße der Völkerwanderungen schon in jenen Zeiten, welche selbst die Tradition
vergessen hat, deren Spuren und Denkmäler wir aber in den Werkzeugen und Waffen
auffinden, welche die jetzige Generation aus der Erde gräbt, und die zu allen Zeiten von
einer gleichen Civilisation innerhalb der Grenzen des Landes zeugen, vom Felsenthor
Thebens bis zu den Flußengen der unteren Donau; ihre charakteristische Gestalt verbreitet
sich hauptsächlich nach Westen, nur in kleinstem Maße nach Norden.
Aus jener Epoche, da der Urelephant und das Rhiuoceros in den Urwäldern und
Sümpfen der Theißufer weideten und die Urbaren und Hyänen in den Biharer Höhlen
lebten, finden wir in Ungarn kaum Gebilde aus Menschenhand, wie sie in Frankreich und
England so oft vorkommen, keine Spuren von Dolmen, Menhirs und Schaukelselseu; aber
im Neolith-Alter, als mau die Werkzeuge und Waffen aus polirteu Steinen verfertigte,
erscheinen die Spuren einer ziemlich dichten Bevölkerung im Lande. Es gibt kaum ein Dorf,
in welchem sich nicht einige geschliffene Steinwerkzeuge finden würden, welche das Landvolk
häufig als Amulette gebraucht. Wenn die Kuh nicht genug Milch gibt, wenn das Kind
schwer zahnt, werden mit diesen Denkmälern der Vorzeit, von deren ursprünglicher Ver-
wendung keine Überlieferung sich im Volk erhalten hat, die kranken Theile, das Euter der
Kuh, das Zahnfleisch der Säuglinge gerieben.
Es ist eine bekannte Thatsache, daß die Formen der polirten Steinwerkzeuge iu der
ganzen Welt beinahe identisch sind. In Japan und China, in Indien und Egypten sind sie
dieselben wie in Europa, aber in dem Umstände, daß bei uns die Zahl der durchbohrten
Werkzeuge verhältnißmäßig viel größer ist als in den Nachbarländern, und in der Gestalt
eines schmalen, langen und dicken Meißels, der bei uns häufig vorkommt, erkennen wir
Eigenthümlichkeiten, welche die Bewohner Ungarns schon zu jenen Zeiten von ihren
Nachbarn unterschieden. Im Tiefland, wo sich kein Stein vorfindet, wurden die Knochen
der Thiere, besonders jener, die zum Hirschgeschlecht gehören, zu Waffen und Werkzeugen
verarbeitet. Läugs der Theiß erheben sich überall künstliche Hügel, welche aus den Abfällen
der Wohnungen der urzeitlichen Menschen erwuchsen; aus diesen lernen wir, daß die
damalige Bevölkerung von der Jagd und dem Fischfang lebte, aber auch das Feld
bestellte; die durch die Zeit verkohlten Weizenkörner zeigen keinen Unterschied zwischen
dem damaligen und dem jetzigen Weizen. Auch Spuren von Handelsverbindungen, und
zwar mit weit entfernten Ländern finden sich vor — in den Gräbern der Steinzeit erscheinen
Halsperlen aus Seemuscheln geschnitten, welche nur am rothen Meere gefunden werden.
Im Mätragebirge ist auch jetzt das gediegene Kupfer nicht selten. Schon die
Urbevölkerung kannte es und kam mit der Zeit darauf, daß es im Glühzustande weicher
werde und durch das Hämmern jede beliebige Form annehme. Sie begann daher ihre
Waffen und Werkzeuge aus Kupfer zu schmieden, anfangs ganz in der Form der polirten
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Band
- 5
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.41 x 22.5 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch