Seite - 56 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
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Vom Papste durfte Stefan keine Gefahr für die Selbständigkeit der Nation fürchten,
er durfte eher auf eine Förderung von dieser Seite rechnen. Dadurch, daß Stefan
seine kirchlichen und weltlichen Schöpfungen dnrch den heiligen Stuhl sauctionireu ließ,
vereitelte er mit einem Schlage alle jene Bestrebungen, welche noch bei Lebzeiten seines
Paters darauf ausgingen, gelegentlich der in Angriff genommenen Glaubensbekehrung
zugleich die Unabhängigkeit Ungarns zu vernichten.
In der Umgestaltung der Verfassung ging Stefan zugleich mit Energie und
Mäßigung vor; er zerstörte nicht das Alte, sondern bildete es nur um nach den Erforder-
nissen der christlichen Monarchie. Er brach die Gewalt der Stammeshäuptlinge und
verschmolz die Nation in des Wortes vollster Bedeutung iu Eine; in seiner eigenen Person
als in dem Repräsentanten der nationalen Sonveränetät vereinigte er die Regierungs-,
die gesetzgebende und richterliche Gewalt. Die neue Versassung erstickte indeß keineswegs
die zu Fleisch und Blut gewordene Freiheitsliebe der Nation; vielmehr sicherte Stefan die
individuelle Freiheit selbst der Krone gegenüber, indem er das System des gemeinschaft-
lichen Stamm- und Geschlechterbesitzes aufhob und ein Gesetz schuf, wonach jeder Einzelne
Herr sowohl seiner eigenen, als auch der vom Könige verliehenen Güter wurde und
darüber zu Gunsten seiner Frau, der Söhne, Töchter, Verwandten oder der Kirche frei
verfügen konnte.
In Bezug auf die gelegentlich der Landeseinnahme erworbenen und vererbten
Güter, sowie in Bezug auf die eigenen Schenkungen vermied Stefan die Aufrechthaltung
von Lehensrechten und überließ die Ländereien den Einzelnen als freie Erbgüter, sowohl
den Stämmen als der Krone gegenüber. Einen feudalen Charakter trugen nur Schenkungen
jener Gebiete, die zu den einen Theil des Staatseigenthumes bildenden Burgen gehörten
und welche der unter den Fahnen der Burggrafen dienenden Mannschaft gegen die
Verpflichtung verliehen wurden, für den König Kriegsdienste mit dem Rechte der
Vererbung auf die männlichen Nachkommen zn leisten.
In der Gesetzgebung verfuhr Stefan nicht willkürlich; die Gesetze wurden erst nach
Anhörung eines aus den höchsten Landeswürdenträgern und den Vornehmsten der Nation
gebildeten königlichen Rathes erlassen. Durch das von ihm gegründete Eomitatssystem,
welches zn seiner Zeit meist militärischen und Regierungszwecken diente und sich auf die
ganz Freien oder Edeln nicht erstreckte, schuf Stefan eine Einrichtung, welche im Laufe
der Jahrhunderte, den veränderten Bedürfnissen sich anschmiegend und alle Classen der
Bevölkerung umfassend, zum Bollwerke der konstitutionellen Freiheit wurde. Die
Gerechtigkeitspflege entzog Stefan den Stammeshäuptern und übertrug sie ernannten
Richtern sowie den Burggrafen, wo es sich um die Angelegenheit des Burgvolkes
handelte; über die Freien, über den geistlichen, sowie den hohen und niederen Adelsstand
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Band
- 5
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.41 x 22.5 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch