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Der scheinbare Wohlstand war übrigens nur bei den privilegirten Classen zu finden.
Auf den Hörigen ruhten alle Lasten des Landes; sie stellten die Rekruten, bestritten deren
Erhaltung, zahlten die Steuern, bauten die Straßen, verrichteten die Robotarbeiten für
ihre Grundherren, zahlten nach den Prodncteu ein Neuntel und entrichteten den Zeheut an
ihre Geistlichen. Unter Freiheit verstand man damals die Privilegien des Adels, uud weuu
die Comitate im Namen der Freiheit ihre Stimme erhoben, so kämpften sie mit demselben
Eifer gegen Regierung und Bauern, ja selbst gegen das bürgerliche Element. Die Hörigen
waren auf dem Reichstage uicht vertreten, die Bürgerschaft sämmtlicher königlichen Frei-
städte hatte nur „eine" Stimme; es trat sogar die Absicht zu Tage, die Bürgerschaft von
allen Ämtern auszuschließen.
Die letzten Verordnungen sowie der Tod Josefs II. und die Thronbesteigung
Leopolds II. brachten eine einigermaßen neue Wendung im nationalen Leben hervor. Die
Nationaltracht, die ungarische Sprache wurden wieder beliebt; es entstand eine ganze
Reihe von Dichtern, die den alten Ruhm und die Ahnentugenden in Erinnerung brachten;
freilich konnten sie auf kein großes Publicum rechnen. Auf dem Kröuuugsreichstage im
Jahre 1790/91 wurde der berühmte X. Gesetzartikel sauctiouirt, nach welchem Ungarn seiner
eigenen Verfassung gemäß und nicht nach Brauch der Erbländer zu regieren sei. In diesem
Zeitabschnitt erstanden schon einige große Geister, welche die Bedentnng der Cultur und der
Reformen der Nation vor die Augen führten, jedoch die Gesellschaft verstand sie noch nicht.
Die französische Revolution brachte ganz Europa in gewaltsame Bewegung, stürzte
alte Begriffe, verbreitete neue Ideen; nur auf Ungarn übte sie die entgegengesetzte
Wirkung: hier brachte sie den Fortschritt zum Stillstand. Es entstand zwar, wie oben
erzählt wurde, eiu Vereiu, welcher die Grundsätze der Gleichheit uud der Vvlkssouveräuetät
mit allen ihren Consequeuzeu in Ungarn für durchführbar hielt, doch eroberte die von ihueu
begonnene Bewegung kein Terrain, vielmehr schreckte das Auftreten einzelner Hitzköpfe
unter den Mitgliedern selbst die eiuem gemäßigt freisinnigen Fortschritte Zugeneigten ab.
Die Bestrebungen der Ersteren, als „Verschwörung" bezeichnet uud behandelt, wurdeu von
der Regierung durch das Richtschwert im Keime erstickt; mit dem Blute der zum Tode
verurtheilteu ungarischen Jakobiner wnrden aber anch die nationalen und Reform-
bestrebuugeu der freisinnigen Patrioten von der Tafel dieses Zeitalters weggewischt. Es
blieb nichts ans ihr bestehen als die Kriegsgeschichte. Aus den Napoleonischen Feldzügen
blieb das Andenken ungarischer Tapferkeit bewahrt.
Dafür übrigens, daß die ungarische Nation den Ideen der französischen Revolution
nnd später denjenigen des ganzen Napoleonischen Zeitalters gegenüber keine größere
Empfänglichkeit zeigte, gab es nebst den äußeren auch iuuere Gründe. Die Vvlks-
souveräuetät, die Gleichheit standen im Gegensatz zur Auffassung des Adels uud zu deu
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Band
- 5
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.41 x 22.5 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch