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Die richtige Anwendung der snbjeetiven nnd objectiven Conjugation kann mancher
Fremde sein Lebtag nicht erlernen. Da hilft die bloße Grammatik nicht, nur die scharfe
Beobachtung und die bewußte Übung. Wie oft hören wir von Fremden Dinge dieser
Art: /l'ucZs? muMaruI?- (Kannst du magyarisch?) .I'uckon»' (ich kann) entgegnet der
Gefragte, (ich sehe es) trumpft ihm der Frager zurück. Beides ist gefehlt;
das Richtige wäre ,tu<loli- und denn der erste Fall verlangt die subjektive
Conjugationsform (tuckok bös^elni. ich kann magyarisch sprechen), der zweite
dagegen die objective Form (lätom, koM tucks?, ich sehe es, daß dn kannst). Ein anderer
seltener Reiz des magyarischen Zeitwortes ist es, daß es seinen Infinitiv ebenso mit
Personalendungen versehen kann wie welches vollkommene Tempus immer, z. B. lätnm»,
Hünni« (etwa: mir zu sehen, dir zu bitten, ihm zu kommen); diese Feinheit ist
aber schlechterdings nicht übersetzbar, andere Sprachen haben dafür nur umschreibende
Ausdrucksweisen.
Da die magyarische Sprache für den Ausdruck der Verhältnisse und Beziehungen
in der Rede über so viele und mannigfaltige Mittel verfügt, sind natürlicherweise ihre
Satzgefüge und überhaupt ihre Ausdrücke jeder Art so vollkommen klar und genan, daß
weder in Prosa, noch im dichterischen Vortrag irgend Dunkelheit oder Zweideutigkeit
obwalten kann, außer wenn der Schriftsteller dieses feine Werkzeug nicht zu meistern
vermag. Man höre doch den Parlamentsredner und das Werk des Dichters, oder den
Dorfrichter und das Volkslied, »lan spreche mit dem Mann aus den höchsten Kreisen
oder mit dem Hirten der Puszten im Alföld, man wird sich in jedem Falle gleich sehr
erfreuen an der seltenen Originalität dieses logischen Gedankenganges, wie an der einfachen
Klarheit der Ausdrücke, an ihrer ernsten Würde, malerischen Farbenpracht und anschaulichen
Plastik. Denn, obgleich unser tausendjähriges Leben in Europa uns aus so Manchem
herausgeschält hat, was wir aus der asiatischen Urheimat mitgebracht, — die orientalisch
gearteten Bilder und Vergleiche, kurz: die Urwüchsigkeit in Gedankengang und Ausdrucks-
weise besteht ein für allemal selbst in den untersten Schichten unseres Volkes, ja man
kann sogar sehr viel Altursprüngliches so recht eigentlich nur noch dort finden.
Das magyarische Wort nennt und bezeichnet nicht blos, sondern es malt auch den
Begriff, die Empfindung. Um dies einigermaßen zu beleuchten, könnte man beispielshalber
viele Dutzende von Synonymen des Zeitwortes, welches das „Gehen" bedentet,
zusammenstellen, wobei noch zu merken wäre, daß die Mehrzahl dieser Zeitwörter wieder
mehrfache Bedeutungen hat und daß auch so noch jedes einzelne jenen Zeitwörtern
diametral entgegengesetzt ist, welche das „Kommen" ausdrücken und die Annäherung an
den Standort des Sprechenden darstellen, ebenso wie jene die Entfernung von demselben.
Fremde finden oft eine Schwierigkeit in jener Eigenheit unserer Sprache, daß wir bei
Ungarn I. IS
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Band
- 5
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.41 x 22.5 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch