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Einzelne Familien von großer Ausdehnung halten so innig zusammen, daß sie durch
gegenseitige Vorschubleistung ganze Comitate, Städte, Gemeinden sozusagen umspinnen,
ja sich sogar über die Puszten erstrecken, uud zwar ist dies nicht nur bei den adeligen
Classen der Fall. So gibt es ein Comitat, das wegen seiner Schafzucht berühmt ist und
in dem das urwüchsige Geschlecht der Schafhirten eine so fest geschlossene Kaste zu bilden
vermag, daß dort ein aus fremdem Comitate zugereister Schafhirt nicht einmal als Knecht
Unterkunft findet; in diesen Bund hineinzuheiraten ist für den Fremden vollends unmöglich.
Diese ganze Classe von Schafhirten, welche sich auf Tausende beläuft, steht unter einer
eigenen Familien-Oberherrlichkeit, welche richtet, straft, belohnt, Stellen vergibt, Waisen
und Kranke versorgt- nnd das Erworbene nach Verdienst vertheilt. Solche Familien-
Disciplin geht dann stufenweise bis zu den Familien des Hochadels hinauf und bildet
einen der stärksten Kitte, welche die magyarische Nation zusammenhalten. Zur Ergänzung
des Familienlebens gehört noch die Gastfreundschaft, eine hervorragende Tugend des
magyarischen Volkes. Das Hausthor des magyarischen Landwirthes steht immerdar offen,
damit der Gast einkehren könne, und dem gern gesehenen Gaste nimmt man das Rad vom
Wagen weg und versteckt es, damit er länger bleiben muß, mau kocht und bäckt ihm auch,
was gut und theuer ist, man stopft ihn mit Speise und Trank, und wen» er vom vielen
Essen die „magyarische Krankheit" bekommt, schmiert man ihm den Rücken, um den
.esSinür" zu vertreiben, und steckt ihn in ein Federbett, und wenn er dann Abschied
nimmt, füllt man ihm auch noch Schnappsack und Feldflasche mit Wegzehrnng. Und es ist
niemals vorgekommen, daß ein magyarischer Hauswirth von dem Fremden, der bei ihm
abgestiegen, Bezahlung angenommen hätte. „Iß, darbe nicht wie zu Hause!" — „Greifen
Sie zu, essen Sie, es kommt nichts mehr nach." — „Er soll auch seine Weihnachten haben!"
Das sind so stehende volksthümliche Redensarten, und hat dann die magyarische Hausfran
den Gast todtgenöthigt und zu Schanden traktirt, bittet sie ihn noch um Verzeihung für
den geringen Imbiß.
Das Heim der Familie findet noch eine wichtige Ergänzung in der Küche. Sie ist
auch keineswegs zu verachten. Der eigene Tisch ist selbst für den Stadtmenschen eine
Sparkasse. Jede Frau ist ein Alchymist und kann auf ihrem Herde Gold kochen; in der
Hand der guten Hauswirthiu liegt das Gedeihen des Hauses; „Heim" und „Heimat" sind
die nämliche Idee. Die wohlzubereitete, schmackhafte Nahrung ist mit ein Grund dessen,
daß der magyarische Stamm die größte Kriegstüchtigkeit und die ausdauerndste Arbeits-
kraft besitzt. Denn der beste Hausarzt ist die Ehefrau und die beste Apotheke der Herd; sie
heilen die Übel im vorhinein.
Jedes Klima, jedes Volk, ja jedes Jahrhundert hat seine eigene Speiseregel. So
auch jede Nationalität nnd Confession. Calvinist und Lutheraner fasten niemals; Papist
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Band
- 5
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.41 x 22.5 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch