Seite - 309 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
Bild der Seite - 309 -
Text der Seite - 309 -
309
um eine Nation zu bleibe», europäisch werden müsse, hat auch der Gott der Magyaren
eingesehen, daß er sein Volk nur behalten könne, wenn er sich in den Jehovah der Christen
verwandle. Was die Urreligion der Magyaren gewesen, davon berichtet kein Stein, keine
Schrift. Unsere Gesetze sprechen nur vou ihrer Ausrottung. Sie verbieten das Opfern an
den Steinen und Quellen, das Blutopfer, das alberne Geschwätz der Spielleute, der Volks-
sänger, sie lassen die alten Schriften, Musikinstrumente, Opferkessel zerbrechen, verbrennen,
bis auf die letzte Spur rotten sie den Mythos der Ahnen aus. Nur die späteren Chroniken,
die mündliche Überlieferung, die im Gedächtniß des Volkes verewigte Sage und mancher
in die christliche Weltanschauung hineinpassende Aberglaube gewähren der Phantasie einen
leitenden Lichtschimmer, um sich das Bild des Vergangeneu zurückzuzauberu.
»lsten- (Gott) selbst ist ein uraltes Wort; Gottes Geißel (Isten ostora) wird
Attila genannt, Gottes Pfeil (Isten n^ila) der Blitz; man sagt ecles Islen (süßer Gott),
kolÄvA Isten (seliger Gott), eI6 Islsn (lebendiger Gott), ürük Islen (ewiger Gott),
teremlö Isten (Gott Schöpfer); der gewöhnliche Wechselgruß ist: ach'on Isten,
Ister» (gebe Gott). Ju welcher Gestalt sieGott angebetet? Ob in Gestalt der vier „belebenden
Elemente": Erde, Wasser, Luft und Feuer? Ob sie Götzenbilder gehabt? Sicher ist, daß
das Wort bälvän^ (Götze) und seine Ableitungen, wie auch die mit Hilfe dieses Wortes
gebildeten Sprichwörter und Redensarten Ideen aus der Heideuzeit in sich schließen. So
heißt unter Anderem eine Säule wörtlich „Balken-Götze" (Aerencla eiu Thür-
pfosten „Thor-Götze" (kapu-bälvÄn^), Lalvän^os-vär (Götzenburg) ist ein geographischer
Name, „er steht da wie ein Götze" ist eine Redensart. Die Götzen waren entweder von
Menschenhand gefertigt, oder eingebildete, personisicine Sachen, oder endlich gewisse
geheimnißvolle Dinge, hervorgebracht durch die vier „Elemente". So bildete und bildet
noch jetzt in Siebenbürgen der Erdgott die halb menschen-, halb fischähnlichen Steine; der
Wassergott den „üöönl'g/ genannten Baum, der beim Axthieb Fuukeu sprüht; der Luft-
gott den Stein „menkü« (Meteor), aus dem auch jenes Schwert gemacht war, mit dem
die Szekler-Fürsten den „Sonnenhieb"* zu thun pflegten, und der Feuergott jene zwei-
köpfigen Menschengestalten, wie der Schlammvulkan von Kovaszna (?c>kc»Isuia — Hölleu-
morast genannt) einen ausgeworfen hat u. s. w.
In alten Chroniken lesen wir, daß, als die Magyaren das Christenthum schon
angenommen hatten, diese Bilder der Weltanbetung mit den Gebeten der italienischen
* „Sonnenhieb." Auch das ist ein uralter Gebrauch, der bei der Königskrönung noch jetzt geübt wird. Der gekrönte
König reitet, den Mantel St. Stefans auf den Schultern, dessen Schwert in der Hand, auf weißem Rosse den Krönungshügel
hinan und führt dort mit dem Schwerte vier Hiebe gegen die vier Weltgegenden, znm Zeichen, daß er das Land gegen jeden, aus
welcher Weltgegend immer kommenden Feind vertheidigen werde. Bei der Krönung Leopolds I. verhöhnte der türkische Feldherr
diesen Gebrauch, indem er sich den Kopf verband und seinen Feldscheer holen ließ, die tiefe Wunde zu heilen, die ihm der König
von Ungarn geschlagen. Sein Nachfolger Abdul-Rahman aber fand diesen Hieb wahrhaftig nicht so lächerlich, denn er fand in
den Schanzen des zurückeroberten Ofen seinen Tod.
zurück zum
Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Band
- 5
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.41 x 22.5 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch