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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
Seite - 386 -
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386 Daß nicht nur das Volk, sondern auch die Mittelclasse der Bevölkerung pietätvoll an ihren alten Liedern hängt, und daß diese Volksmelodien die Betreffenden stets zu begeistern vermögen, das haben die Primgeiger der Zigeuner bald weggehabt. Daher wußten sie, um das Nationalgefühl auszubeuten, am Anfang dieses Jahrhunderts den beim Weinglase dahinbrütenden Patrioten nicht nur mit den erwähnten Liedern, sondern anch mit dem Liede König Belas des Blinden aufzuwarten. — Doch genug nunmehr über das zähe Leben der historischen Lieder. — Die Volkslied-Dichter lassen sich in zwei große Gruppen theilen: die eine ist die des niederen Adels, die andere die des Volkes. Da Ungarn ein Poetenland ist, finden sich in der Mittelclasse ebenso viele Kom- ponisten von Melodien als Verfasser von Gedichten. Die Lieder der Mittelclasse unterscheiden sich von den rein volksthümlichen theils durch den Inhalt ihres Textes, theils durch den Tonumfang und Schliff ihrer Melodien. Dies ist eine natürliche Folge des höheren gesellschaftlichen Standes, der weiteren Bildung und des musikalischen Lebens. Aus dieser Gruppe der Mittelclasse ist im Laufe der Vierziger-Jahre Benjamin Egressi hervorgegangen, der würdige jüngere Bruder des großen dramatischen Darstellers Gabriel. Benjamin Egressi wurde 1813 zu Sajö-Kazincz (Borsoder Comitat) geboren. Er besuchte die Schulen in Miskolcz und Säros-Patak. 1837 wurde er Mitglied des Nationaltheaters und starb in Budapest am 19. Juli 1851. Eine ungewöhnliche poetische Begabung ging bei ihm Hand in Hand mit gründlicher musikalischer Bildung. Gleich Anfangs sicherte er sich durch seine preisgekrönte Nationalmelodie zu Vörösmartys „Szözat" (Weckruf) selbst für deu Fall, daß er weiter nichts componirt hätte, ein ehren- haftes Gedächtniß, das sich auch jetzt noch bei jedem nationalen festlichen Anlaß erneuert. Aber Egressi hat auch viel geschrieben. Er ließ ein Lied auf das andere folgen, sämmtliche von urwüchsiger Schönheit; sie waren drei Jahrzehnte hindurch in allen Concertsälen von Budapest und der Provinz auf der Tagesordnung. Eigentliche Kunstlieder sind es nicht, wohl aber künstlerische Volkslieder, uud sie bedeuten eine Zeit des Überganges zur Kunstdichtung. Das Volk wirft sich niemals aus epidemischem Poetenkitzel aufs Liedermachen. Wer also instinctmäßig Lied und Weise improvisirt, aus dessen Werkstatt kommt die echte, unmittelbare Naturdichtung in Umlauf. Ein Arany und Petöfi pflegt seine Original- entwürfe selbst durchzufeilen; der Sohn des Volkes aber würde, selbst wenn er schreiben könnte, kein Concept aufsetzen, sondern seine Improvisation würde, von Mund zu Munde gehend, im Rollen über alle Zungen sich so lange schleifen und bessern, bis sie das Nonplusultra erreicht hätte.
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
Titel
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Untertitel
Übersichtsband, Ungarn (1)
Band
5
Herausgeber
Erzherzog Rudolf
Verlag
k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
Ort
Wien
Datum
1888
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
16.41 x 22.5 cm
Seiten
532
Schlagwörter
Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
Kategorien
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