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Wohl selten hat die Natur so verschwenderisch ihre reizvollsten Contraste hingegossen
als über diesen weitabgelegenen Winkel; Erhabenes und Liebliches liegt hier in Fülle
nebeneinander; mit dem Ernste einer großartigen Hochalpennatur vermählt sich auch hier
noch das freundliche Behagen einer wohlangebauten Thalebene. Ein guter Fahrweg führt
thalaufwärts zwischen einer Menge von zerstreuten Häuschen, und ihn verfolgend, genießt
der Wanderer den Wechsel von fortwährend veränderten Gebirgsfcenerien; neue Spitzen
tauchen ans, andere verschwinden hinter mächtigen Coulissen, bis endlich in der Mitte des
Thales der volle Einblick in den großartigen südlichen Thalschluß sich öffnet: da stehen
sie im enggeschlossenen Halbkreise, die Kalkriesen des obersten Steyrthales; die Hochkasten,
der Hebenkas, Sinnewell, Brieglersberg, Gamsspitz und dann östlich von der Scharte des
Salzsteigs: der Eisenstein, das Hirscheck, Türkenkar, hohe Kreuz, der Hochmölbiug uud
der Schröcken — ein Kranz von grotesken Spitzen, Thürmen nnd Kuppen.
Aber mehr noch als dieser Eircns von Bergen fesselt uns der Einblick in ein kleines
Seitenthal, die Polsterlncke genannt. Der hohe Priel und die Spitzmauer, diese beiden
höchsten Zinnen des Todten Gebirges, senden in kühn gerundetem Abschwnnge zwei
Dolomit-Vorberge an die Steyr herab, den Öttlberg und Ostrawitz, der erstere ein
zerrissener graubrauner Block, der letztere eine schlanke, nadelsörmig auslaufende Pyramide;
sie rahmen einen engen düsteren Kessel ein, in dessen Hintergründe die beiden genannten
Hochspitzen thronen. Da steigt die Spitzmaner an die 2.000 Meter mit glänzend glatten,
fast lothrechten Wänden wie ein Thurm vom Thalbodeu in die Höhe und hart neben ihr,
durch die Klinserscharte getrennt, baut sich der Priel in derber Massigkeit auf. So enge
rücken hier die Bergriesen aneinander, daß in den Grund des Thalkessels nur auf wenige
Stunden des Tages die Sonnenstrahlen zu dringen vermögen. Ein magischer Zauber
ergießt sich über diesen finsteren Schlund, wenn hinter der Klinserscharte die Nach-
mittagssonne untertaucht und ihre letzten Strählenbündel den Äther mit gleißendem
Schimmer erfüllen. Wenn sich dann die grauen Kalkschrofen in zitternde Dunstgebilde
aufzulösen scheinen und die Spitzen im Glänze der Abendsonne herableuchteu, treibt uns
eiu unwiderstehliches Verlangen nach aufwärts und reicher Lohn wird uns für die
Beschwerde des Aufstieges.
Die Höhe und die weit gegen Norden vorgeschobene Lage machen den Priel zu
eiuem der domiuireiidsteu Gipfel der nördlichen Alpen. Wer da oben auf seiner Spitze
steht, dem entfaltet sich ein großartiges Bild: der Schneeberg im Osten, Spitzen der
Karawanken im Süden und das Kaisergebirge im Westen begrenzen die Rundschau auf
die Alpenwelt mit ihren zahllosen Gipfeln; im Norden baut sich das Hügel- und Flachland
scheinbar wie eine ungeheure Waud gegen den Horizont auf und selbst die langgezogenen
Wellenlinien des baierisch-böhmischen Waldes bilden keine Grenze. Doch kehrt der Blick
zurück zum
Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Oberösterreich und Salzburg, Band 6"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Oberösterreich und Salzburg, Band 6
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Oberösterreich und Salzburg
- Band
- 6
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1889
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 17.03 x 24.86 cm
- Seiten
- 650
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch