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Aber singen können diese Leute, daß es eine Lust ist! Hat jemand durch richtiges
Begegnen die anfängliche Scheu und Zurückhaltung dieser Naturseelen überwunden, so
inachen sie ihm sicherlich die Freude, ihre Almgesänge, Jodler und Juchzer preiszugeben,
wie sie uns Schossers Melodien so ansprechend wiedergeben. Es sind „Lieder ohne Worte"
in einer wunderbaren Mannigfaltigkeit. Die Form dieses Gesanges, welcher stets von zwei
Schwoagerinnen ausgeführt wird, begreift kurze Sätze mit wechselndem Tacte in sich. Die
fortschreitende Terze und der Sextengang bilden das Wesen dieser Gesänge, welche durch
die häufigen Gegenbewegungen einen ganz eigenthümlichen Reiz gewinnen. Die Stimmen
umfassen meist Sopran und Alt zugleich uud schlagen bei der Verbindung der Intervalle
stets hörbar von der Brust- uud Mittelstimme in die Kopfstimme um. Der Eindruck, den
diese Almgesäuge hervorrufen, wird erhöht durch die große Natur der Umgebung. Die
hohen Bergeshänpter, die weiten Ausblicke in endlose Fernen und in die Tiefe der Thäler,
die in der Nähe schimmernden „Mänern" und die ans der Ferne herüberglänzenden
Gletscher uud Firne, die freie, frische Bergluft und das unendliche Schweigen der Einsamkeit
des Hochgebirges, — das Alles hat die rechte Stimmung hervorgerufen.
Wenn die Nebel aus den Thälern aufsteigen und der Wind schon kälter wird, folgt
der Heimtrieb. Auftrieb und Heimtrieb find die Hauptfesttage im mühevollen Leben der
Schwoagerin, letzterer jedoch nur dann, wenn kein Thier der Herde auf der Alm verunglückt
ist. Die Schwoagerin hat dann sich selbst in reine Kleider gehüllt und den Hut mit den letzten
Alpenblumen geschmückt. Die Thiere der Herde, groß und kleiu, hat sie mit Rauschgold,
biittteu Bändern, Wachholderstränßen nnd Kränzen aufgeputzt. Und so geht es dem
Thale zu. Den Zug eröffnet stolzen Schrittes die Schwoagerin; ihr folgt die „Läntkuh",
dann die übrigen Kühe und der „Jod'l" (Stier) mit ihren Glocken und Schellen; hierauf
kömint der Halter mit den Ziegen und Schafen und Schweinen. Das läutet und schellt, und
brüllt und meckert und blökt den Bergweg herab, das Dorf hinein, deui Stalle zu! Die
Herrlichkeit des Almlebens ist wieder für ein Jahr zu Ende, und wenn am nächste»
Souutag beim Dorfwirth der „Almtanz" gehalten wird, ist es schier wie das „Fasching-
begraben", so'lustig-traurig ist die Stimmung.
Wenden wir auch noch einen kurzen Blick auf die Haudwerksbräuche und
Sprüche. Wenn die Zimmerleute irgendwo, etwa bei einem Brückenbaue, Pfähle ein-
ramme«, so geschieht das, wo man nicht schon die Dampfkraft verwendet, in einer Weise,
die wahrscheinlich die Pfahlbauern schon geübt haben. Der Pfahl wird mit einem großen
Schlegel, der von mehreren Händen gleichzeitig erfaßt, gehoben und gesenkt werden muß,
allmälig in den Boden eingetrieben. Dabei muß es in gleichmäßigem Tacte gehen. Darum
wird die Arbeit mit rhythmischen Sprüchen geleitet, die von den betheiligten Arbeitern im
Chore eintönig gesungen oder recitirt werden, z. B.: „Einmal auf — und einmal drauf";
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Oberösterreich und Salzburg, Band 6"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Oberösterreich und Salzburg, Band 6
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Oberösterreich und Salzburg
- Band
- 6
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1889
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 17.03 x 24.86 cm
- Seiten
- 650
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch