Seite - 32 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Steiermark, Band 7
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auf den Naßköhr. Wir sind im Scheiterboden, wo die letzten Hütten stehen. Das
Engthal scheint sich vor uns zu schließen. Allmälig will sich in den Schutthalden auch
der Weg verlieren, aber er setzt kräftig über das Wasser, daß er festen Boden gewinne;
er ist den Felsen abgerungen worden. Wir sind in der wilden, 20 Minuten langen
Schlucht zum „todten Weib". Die Mürz und der Weg, die bisher so nachbarlich mit
einander ausgekommen sind, hier müssen sie sich befehden, sie haben kaum Platz neben-
einander zwischen den senkrecht aufsteigenden Felsen. Zornig brandet das Wasser, daß es
im Gestein wiederhallt. An den dem Wege gegenüberstehenden Wänden wuchert Edelweiß;
unsere lüsternen Augen suchen Mittel und Stege, um es zu erreichen, aber die weißen
Sterne sind zu gut eiugeburgt, hohnlachend schauen sie auf uns herüber. Mehrmals wendet
sich die herrliche Klamm und bietet trotz des engsten Gesichtskreises großartig schöne
Bilder. Endlich stehen wir vor einem Wasserfall. Aus einer Höhle, an 50 Meter hoch
in der Wand, stürzt ein wuchtiger Quell herab, bricht sich in der Tiefe mehrmals brausend
und zischend am Gestein, bis er in die Mürz fährt. Das ist jenes Wasser, welches oben
über den Hochboden des Naßköhr so lieblich dahinrieselt und sich plötzlich verliert. Zur
Höhle, aus der das Wasser bricht, führt steil eine von Wasserstaub befeuchtete Treppe
empor, am Fuße derselben steht ein Kreuz uud erhöht noch die Stimmung dieser wilden
Einsamkeit mitten in den von ewigem Wassertosen wiederhallenden Wänden. Daß daneben
auch ein Tisch aufgeschlagen ist, um bequem einen mitgebrachten Imbiß einnehmen zu
können, thut — so behaupten die Kinder unserer Tage — der Stimmung keinen Abbruch.
Über den Ursprung des Namens „Zum todten Weib" schweigt hier merkwürdiger Weise
auch die Sage oder sie lallt Widersprechendes.
Eine kleine Strecke hinter dem Wasserfall, fast an der Stelle, wo die Schlucht am
engsten ist, steht eine Tafel mit dem Bildniß des heiligen Georg. Sie ist von der Erzherzogin
Marie Valerie gestiftet als Andenken an einer hohen Frau Rettung aus Gefahr. Im
August 1883, als hier die Kaiserin Elisabeth über den Steg ritt, brach das Pferd durch.
Holzleute, die in der Nähe arbeiteten, verhüteten ein großes Unglück. Auf der Tafel steht
folgender Vers:
Zur Erinnerung an den 26. August 1883.
Heiliger Georg, Reitersmann,
Der'vor Gefahr uns schützen kann, Ich bitte dich mit Zuversicht,
Verweigere mir die Bitte nicht.
Beschütze stets das theure Leben,
Das mir das Licht der Welt gegeben.
Der meine Mutter oft beschützt,
Wo keines Menschen Hilse nützt,
Marie Valerie."
Nun läuft die Felsenschlucht in sanfteren Waldhängen aus und vor uns liegt das
stille Thal: „In der Frein". Eine Holzknechtgemeinde mit Pfarr- und Forstamt und ein
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Steiermark, Band 7
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Steiermark
- Band
- 7
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1890
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.09 x 22.51 cm
- Seiten
- 432
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch