Seite - 52 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Ungarn (2), Band 9
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Die Theißinseln sammt ihren Bewohnern bildeten noch in der jüngsten Vergangen-
heit ein Stück interessanter, unbekannter Welt im Lande. Durch die eisige Frühlingsflut
an dem einen Ende fortwährend abgebröckelt, am anderen angeschwemmt, durch den
veränderlichen Lauf des Theißbeckens bald dem einen, bald dem andern Comitate
angegliedert, gehörten sie zumeist den Ufergemeinden als ein Besitz von zweifelhaftem
Werthe. Auf ihren hügeligen Theilen wachsen Weiden, Silberpappeln, Erlen zu pfad-
losem Gebüsch zusammen, in den Niederungen Röhricht, Ginstergesträuch, bedeckt mit
Anis und wildem Kümmel, ein Sammelplatz der fischfressenden Wasservögel, die um die
breitästigen Bäume herum wahre Guanolager absetzen, auf denen die wilde Brombeere
lustig gedeiht; die Höhlen der Bäume sind voll mit wilden Bienen; auf den Zweigen
hängen die Kugeln riesiger Wespennester, die Pappeln sind dicht beladen mit Krähen-
nestern und Misteln; an den Zweigen des jnngen Holzes hängen wie Wunderfrüchte
die Nester der Feigendrossel, ans Weidenwolle meisterhaft zu einem Beutel zusammen-
gewirkt; in den Erdrissen sieht man die zellenartigen Höhlen der Uferschwalben; im
Hinteren Theile der Insel das dichte Schwingeldickicht (k'egtuea tlmtans), dessen Frucht
der „Thaubrei" ist und dessen Wurzel von „lebendem" Wasser befeuchtet sein will. Die
Insel bietet außer den Flngthieren, nur solchen ein Heim, deren „Gevatter" das Wasser
ist: der Fischotter, der Wasserratte, der Schildkröte, ja man sieht hier und da sogar
die Spuren eines Biberlagers; Schlangen und Ochsenfrösche gibt es in großer Menge.
Das eine Ufer, welches dem befahrenen Flußarm folgt, betreten hier und da auf
kurzen Besuch die Flößer und schlagen eine improvisirte Hütte auf, bis der Wind, der ihre
Flöße ans Ufer trieb, nachgelassen. Manchmal läßt sich auch ein kühner Jäger vom anderen
Ufer hinüberführen, der die Leidenschaft hat, seltene Wasseradler, braune Ibisse zu
schießen, oder ein in die Botanik verschossener Dorflehrer, der die seltene Meerkohlwnrzel
(LIrainbe lÄtaria) sucht, von welcher (nach Diöszegi) ein Stück zwanzig Menschen satt
macht. Die Inseln hatten jedoch auch ständige Bewohner, aber ihre Onalification finden
wir in den Volkszählungslisten nicht. Das sind Menschen, die von „Nichts" leben, die im
Winter Grnndeln fangen und im Sommer mit einem Stück Schafpelz Wassernuß fischen,
die Heilkränter pflücken, das „Salep" aufsuchen, im Winter von den Espen das „Popinm"
sammeln, die Mistel zum Nogelleim bereite» und damit die Vögel fangen, dem Kibitz
listig seine gut versteckten Eier nehmen; sie machen aus Beifuß Züudschwamm und aus
dem Zweig des Schlingstrauches wohlgebohrte Pfeifenrohre, sie fegen die Soda zusammen
und suchen, was noch werthvoller ist, den Salpeter auf, den ihnen die rothblätterige
Vegetation verräth und der üppige Ampfer (rumex); sie kochen ihn in großen stark-
riechenden Erdkesseln aus, auch schälen sie die Rinden der jungen Bäume ab für die
ungarischen Esizmenmacher, und können sogar den „Thaubrei" in Säcke füllen. Wer unter
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch