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Himmelfahrt. Man sieht, es fehlt nicht an Faschingen, man braucht sie aber auch, denn
es fehlt auch an Hochzeiten nicht. Ein Ungar wird bei gesundem Leibe nicht leicht zum
alteu Junggesellen und auch die Mädchen im Lande sterben nicht im Jungfernkranz.
Bei den Hochzeiten im Herbst gibt es mehr Lärm uud Getümmel, sie sind die
interessantesten, schon weil um diese Zeit die Massentrauungen stattfinden. Gar nicht selten
werden 15 bis 20 Paare zugleich getraut und in solchen Fällen kann man wohl sagen,
daß das ganze Dorf eine Woche lang nichts thut, als Hochzeit halten. Die Hochzeit findet
nämlich nur dem Namen nach an einem Tage statt, in Wirklichkeit dauert sie die Woche
durch. Am Montag versammeln sich die näheren Verwandten, Holz klein zu machen, Tische
und Bänke zusammenzutragen; Dienstag werden das jnnge Rind (bei Bemittelteren auch
zwei), die Schafe, das Geflügel geschlachtet, gesengt, gernpft; Mittwoch ist der eigentliche
Hochzeitstag, der sich bis in den Donnerstag hinein erstreckt; der Freitag findet die
Gevattern noch so recht beisammen; Samstag kommen die näheren Verwandten herbei nnd
helfen diese umgekehrte Welt wieder auf die Füße zu stellen; Sonntag endlich findet das
Hochzeitsmahl statt.
Kein Wunder, daß sowohl aus sittlichen, als auch aus materiellen Gründen die
bürgerlichen und kirchlichen Behörden schon seit jeher bestrebt waren, diese kostspieligen
Festlichkeiten zu beschränken. So ist vom Anfange des vorigen Jahrhunderts eine stets auf
dem Papiere stehen gebliebene Verfügung vorhanden, lant deren im gauzeu weiten Umkreise
des Kecskemeter Alföld „das eine Mittag- uud Abendessen am Hochzeitsmittwoch sowohl
für den Wirth, als auch für die Gäste und die .tapferen' Gesellschaften genügend sein" nnd
unter Anderem „verboten sein solle, Bnrsche zu Pferde, mit Flinten und Narretheien
beizuziehen".
Das kirchliche Aufgebot erfolgt binnen zwei Wochen. Am Sonntag des mittleren
Aufgebots geht im Mätyusföld die Braut bekränzt, der Bräutigam den Blumenstrauß am
Hut, zur Kirche hinan. In den Städten der mittleren Theiß findet am Abend dieses Tages
auch das „Küssen" statt. „Der Bursche geht zum Küsseu", das heißt: er bringt seiner Braut
eiu Tüchlein voll winziger Äpfel, die sie in jenem denkwürdigen „Kleinhaus", in dem
nämlichen, wo sie miteinander den ansgelanfenen Mohn zusammengefegt, gemeinschaftlich
verzehren, und zwar so, daß erst der Bnrsche ein Stück abbeißt, dann das Mädchen, nnd
jeder Bissen mit einem Knß gewürzt wird. Bei dieser Gelegenheit wird auch der Hochzeitstag
eudgiltig festgestellt.
Mittlerweile tritt, drei bis vier Tage vor der Trauung, eine neue officielle
Persönlichkeit der Heiratsgeschichte auf den Schauplatz, uämlich der Hochzeitsbitter.
Der Hochzeitsbitter wird auf dem Dorfe unter den Kameraden des Bräutigams aus-
gewählt, iu manchen Ortschaften jedoch bekleidet man sowohl mit diesem Amte, als auch
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch