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des Gatten auf dem Hofe und reicht ihr einen Bissen Brod, zum Zeichen, daß sie sie als
Mitglied ihrer Familie und Theilhaberin ihres Brodes erkenne. Das Brod dieut auch als
Smybol des Ausscheidens aus der Familie. Der im Hause verbleibende Theil ergreift
nämlich einen Laib Brod, schneidet ihn in zwei gleiche Hälften und reicht die eine dem
ausscheidenden Theile. Nun haben sie „getheiltes Brod".
Aber der eben geschilderte Brauch ist nur eine Ausnahme. An den meisten Orten
geht die Braut vou der Kirche am Arme oder an der Seite des Bräutigams in ihr neues
Haus, wo das junge Paar vom Hochzeitsbitter begrüßt wird und wohin auch die Gäste
des Vaterhauses gefolgt sind; sie bleiben dort während des Tanzes vor dem Mittags-
schmaus, bei gutem Wetter auf dem Hofe, bei schlechtem im „Großhause", bis die Tanzenden
endlich durch die Tafeldecker hinausgetrieben werden. Das Tischdecken geschieht unglaublich
flink. Aber das ist kein Wunder, denn Tags vorher hat man eine förmliche Generalprobe
abgehalten, bei der alle Rollen genau vertheilt wurden, und unter schwerster Verantwort-
lichkeit hat da jeder Einzelne, der Brodschneider und Weinträger und Tellerwechsler
und so fort, seine Aufgabe zu erfüllen.
Der oben geschilderte Hochzeitszug gestaltet sich noch lebendiger, wenn die Braut
ihr Dorf verlassen muß. Das ist der Bräutigam seinem „berühmten Mädchen" schuldig,
aber auch feiner Heimat, denn es soll klar am Tage liegen, daß er und die Seinen auch
uicht im Storchennest ausgebrütet worden. Auf 15 bis 20 Wagen führt er sein Hochzeits-
volk von bannen; jedes Pferd hat an den Ohren farbige Tücher flattern, auf dem Rücksitz
jedes Wagens sitzen drei muntere junge Frauen, deren Gesang gar nicht verstummen will;
auf dem Kutschersitz schwingen die Bursche und jungen Ehemänner die Feldflasche; nebenher
aber sprengen hoch zu Roß 12 bis 20 Reiter, mit leichten Fahnen in der Hand. Die
ganze Bevölkerung des Dorfes erwartet sie anf den Gassen und erwidert freundschaftlich
ihr Zujauchzen. Sie werden als liebe Gäste behandelt. Wenn sie sich aber in derselben
Ordnung auf den Heimweg begeben und die Braut unter noch größerem Tumult heim-
führen, dann heißt es ordentlich aufpassen, daß ihnen nicht irgend ein Schabernack gespielt
werde. Gar leicht fliegen nämlich Töpfe voll Asche gegen die Räder nnd Schneebälle
hinter ihnen drein, statt anderer Segenswünsche. Ein wahres Glück, wenn es nicht gelungen
ist, die Nägel aus den Rädern des Brautwagens herauszustibitzen, oder wenn vor das Ende
der Gasse kein in Wolfsfett getränktes Seil gespannt ist, was die Pferde scheuen macht.
Darum werdeu vor dem Aufbruch die Wagen erst noch genau untersucht und den Wagen
der Braut lenkt ein alter, erfahrener Mann, der seine fünf Sinne beisammen hat.
Um die Gäste unterzubringen, bedarf es auch keiner geringen Findigkeit, denn es
sind ihrer gewöhnlich zwei- oder dreimal so viele, als am Tische sitzen können, und bei
einer richtigen Hochzeit soll auch wirklich uicht die Hälfte der Gäste zum Sitzen gelangen.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch