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fortwährend über dem Beistand, damit er sich nicht etwa vergesse. Auch die Bursche tanzen,
den Hut aus dem Kopfe, deu Blumenstrauß am Hute, was übrigens nicht Wunder nehmen
kann, denn wo sollten sie die Hüte hinthun? Auf den Köpfen sind sie am besten
aufgehoben.
Der Tanz ist der ewige Csardas, und zwar wird heutzutage das Andante kurze
Zeit uud das Allegro länger getanzt; ehedem war das Umgekehrte der Fall. Der schöne
„langsame Ungarische" mit seinem ritterlichen Ernst und Sporenklang beginnt in
Vergessenheit zu gerathen. Vom Stampfen des dichten Gewühls widerhallt der Boden,
der selten ein Bretterboden ist; gejauchzt wird wenig. Unermüdlich wird weitergestampft.
Natürlich hat Jeder seine Lieblingstänzerin, die er am dargereichten Tuche oder am
Finger gefaßt zum Tanz führt; sitzen bleibt dennoch Keine, denn dies wäre eine große
Beleidigung für den Hausherrn.
Wortstreit, Balgerei, Plumpheiten sind selten. Man enthält sich sogar des Fluchens,
ohne das doch sonst der gemeine Mann weder im Bösen noch im Guten bestehen kann.
Jahre vergehen, bis es einmal zu einem Zusammenstoß kommt, der dann auch weithin
besprochen wird; das Odium davon trifft den Hausherrn, besonders aber den Beistand.
Denn dieser steht bei einer anständigen Hochzeit im Ansehen eines Diktators. Dort sitzt
er in seiner Ecke am oberen Tischende, von den bejahrteren Gästen umgeben, die er mit
Erzählungen aus seinem und Anderer Leben, oder aus älteren Zeiten unterhält. Jeder
Neuangekommene wird ihm vorgestellt, und zwar kündigt, wenn Jemand eingetreten ist.
der nur kurze Zeit verweilen kann, diesen der Brautführer mit der Feierlichkeit eines
Herolds au: „Ich melde Euch in aller Untertänigkeit, daß diesem Hause in der Person
des Herrn (der Frau) N. N. ein ehrenwerther Gast angekommen ist." Der Beistand
erhebt sich, nimmt die Mütze ab, begrüßt den Ankömmling und legt fortan den Schwer-
punkt seiner amtlichen Thätigkeit darein, den neuen Gast zu unterhalten. Daß der
„ehrenwerthe Gast" nur mit dem Lippenrande nippt, während er selbst alles bis auf die
Nagelprobe leert, übersieht er gauz; keiu Wunder, daß er bald schwach wird. Doch das
verschlägt nichts, man merkt es nur an seiner Zunge, nicht an seinen Beinen, sintemalen
er keinen Fuß aus der Beistaudsecke heraus setzt. Kommt es doch hie nnd da vor, daß
unter den Gästen Streit entsteht, so fällt der Beistand ein summarisches Urtheil, gegen
das es keine Appellation gibt. Der Ungeberdige wird einfach in aller Stille hinausgewiesen
und gehorcht schmollend; sollte er sich aber sperren und anfbegehren, so tritt eine noch
höhere Macht in Thätigkeit: die Fran. Das Lamm nimmt den Löwen an der Pfote und
führt ihn unter mahnender Zurede oder gelinden Rippenstößen hinaus. Übrigens hat man
abschreckungshalber zwei Tage vor der Hochzeit die Fruchtgrube gelüftet, in die man die
Schlimmsten ganz sachte hinunterläßt. Das ist ganz hnman, denn die Grnbe ist im
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch