Seite - 93 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Ungarn (2), Band 9
Bild der Seite - 93 -
Text der Seite - 93 -
93
hört man den Hausherrn sich oft berühmen: „In meinem Hause besitzt die Frau keine
Nadel Werths."
Dieses Gesetz war von mächtigem regelnden Einfluß auf das Familienleben. Die
Frau wollte und konnte ihren Mann nicht wegen jeder Kleinigkeit verlassen, ja selbst ans
schwerwiegenden Gründen nicht, denn ein solches Weib fand bei Himmel und Erde keine
Zuflucht und am wenigsten im Elternhause. Sie wagte es kaum, sich vor den Leuten zu
zeigen, denn Jeder wies mit Fingern auf sie; sie lebte vereinsamt und trug Trauerkleider.
Scheidungsprocesse, wilde Ehen, kamen selbst in großen, volkreichen Gemeinden jahr-
zehntelang nicht vor. Ein kluger Richter, ein kluger Geistlicher und das Urtheil der
Gesellschaft im Bunde genügten immer, um den entscheidenden Schritt zu hintertreiben
nnd die Frau zum Gehorsam zurückzuführen. Überhaupt ist ja der Gehorsam der schönste
Schmuck der ungarischen Frau, was aber durchaus nicht ausschließt, daß sie Herr im
Hause sei. Dieser Gehorsam zeigt sich auch äußerlich. Die Frau bedient ihren Mann
stehend, während er sei» Mahl einnimmt. Begegnet sie ihm auf der Straße, so grüßt sie
zuerst, weicht ihm aus, läßt ihm den Vortritt. Sie gibt ihm seine Ehre, das heißt sie
duzt ihn nicht, sondern nennt ihn „Ihr", den „Mann" (emder), das heißt ihren Herrn.
Stirbt der Hausvater, so übergeht das Verfügungsrecht des Hausherrn auf den Sohn;
in allen Dingen holt die Mutter seine Meinung, seine Zustimmung ein, selbst wenn der
Sohn noch ein junger Bursche ist.
Kindstaufe. — Auch auf das neugeborene Kind fällt der milde Strahl einer
Festtagssonne.
Schon vor seiner Geburt ist die Liste seiner Tanfpathen festgestellt und die erste
Taufpathin, die das Kind über den Taufbrunnen halten wird, rüstet für ihre Gevatterin
schon vor der schweren Stunde das Himmelbett mit Tüllvorhängen, sowie auch das
Taufgewand für das erwartete Kleine, nämlich das Pölsterchen und Häubchen, Alles roth
bebändert, und anderweitige Schmetterlingszier, mit der es ihr seinerzeit vergönnt sein
wird, das Püppchen zu bekleiden. Das Neugeborne wird hie und da mit allerlei niedlichem
Aberglauben empfangen; ist es ein Knabe, so legt man es auf einen Suba-Pelz, damit es
krauses Haar bekomme, und streichelt seine Wange mit einem rothen Apfel, damit es
runde, rothe Wänglein kriege.
Bis nach der Taufe, ja selbst noch länger, bis die Mutter wieder auf ist, brennt im
Kindbetterhause Tag und Nacht ein Lämpchen. Die Mutter soll das Gefühl haben, daß sie
keinen Augenblick allein gelassen ist!
Zu Gevattersleuten wirbt man, besonders bei Erstgeborenen, eine ganze Schaar
Freundinnen aus der Mädchenzeit und Kameraden aus dem Burschenleben. Die Pathinnen
rücken zuweilen zwölf bis zwanzig Köpfe stark aus, um das Kiud iu die Kirche zu tragen;
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch