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kümmert Niemanden. „Es war sein, mag ers mit sich nehmen", pflegt man zn sagen. Es ist,
als sähe man die alten Hnnnen und Avaren, wie sie dem Todten seine beste Habe: Bogen,
Kocher, Streitroß ins Grab mitgeben. Und auch das alte Todtenmahl besteht noch; seine
Wildheit hat das Christenthum wohl gemäßigt, seine Üppigkeit weniger. Wie zu den
Hochzeiten, so drängt sich anch zn den Trauerhäuseru der Bemitteltereu das arme Volk
Hera« und Jeder verläßt mit einem Kleidungsstück oder einem vollen Topfe getröstet
das Hans, wo der Leichenschmaus stattfindet.
Die ungarischen Friedhöfe stehen jetzt voll mit schimmernden Grabsänlen und dunkel
schaltenden Akazienhainen. In einzelnen größeren Städten, wie Körös, Halas, Hajdu
Bößörmeuy, Debreezin, sind sie wahre Wälder oder Parke. Das war aber nicht immer so.
Vor alters konnte man auf den ersten Blick erkennen, welcher Confession ein Friedhof
angehöre. Die Römisch-Katholischen und Evangelischen A. C. pflegten ihn mit zarter
Sorgfalt wie einen Garten, während die Reformirten ihn fast ostentativ vernachlässigten.
Nicht als ob sie weniger warm von Gemüth wären. Sie wollten dadurch die stolze
Verachtung des Vergänglichen ausdrücken nnd eine Trauer, die sich selbst vernachlässigt.
Dies sieht man noch jetzt ihren schwarzbemalteu, klafterhoheu, thurmartigeu Grabmälern
an, wie sie vielgekerbt nnd kuopfgeschmückt über den Grabhügeln emporstarren, diesseits
der Theiß lothrecht stehend, jenseits der Theiß vornüber geneigt, und nicht minder auch
jenen ganz unbehauenen und jeder Inschrift ermangelnden Felsstücken, mit denen sie
ehemals die Grabstätten ihrer hervorragenderen Männer bezeichneten. Seitdem hat sich
auch die Starrheit des Calvinismus gemildert, jeder Grabhügel, wohlgepflegt und mit
einer Inschrift bezeichnet, verkündet die Pietät der Lebenden. Die häufig vorkommenden
Buchstaben L. li. bedeuten ,u leltümuäÄs lemenxe ulutl" (in der
Hoffnung der seligen Auferstehung). Ist ans dem Hofe oder im Weingarten des Ungars
ein dürrer Akazieu- oder Eichenstamm vorhanden — und wenn nicht, so sucht er sich eineu
zu verschaffen —, so bezeichnet er ihn schon Jahre vorher als sein dereinstiges Grabdenkmal;
es wird sich schon ein Frommer treffen, der ihm die Kreuz- oder Thurmform gibt uud ihn
auf dem bestimmten Grabe aufpflanzt, welches Grab übrigens nicht gleich nach dem
Verscheiden seiues Insassen, sondern erst am Begräbnißtage gegraben werden darf. Aber
anch das Todtengewand wird lange vorher bereitgehalten, und jahrelang liegen die
Begräbnißkosten sicher verwahrt auf dem Grunde der Trnhe, ja der Grabstein sogar liegt
längst auf dem Hofe draußen, nnd, um Kosten zu spare», ist zuweileu selbst der Name
der Ehefrau darauf schon mit eingegraben, da sie ja doch früher oder später sich anch
neben den Gatten hinlegen wird.
Der Sarg besteht bei armen Leuten aus etlichen Fichtenbrettern, da aber die Pietät
niemals arm ist, werden diese schwarz angestrichen. Der höchste Wunsch in dieser Richtung
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch