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die ganze Nacht hindurch, damit die Ähre nicht bricht nnd die Körner nicht fallen laßt.
Nach dein Einfiihren geht es ans Treten, das nicht minder interessante Mvmente aufweist.
Heutzutage freilich brennt uns die Zeit auf die Nägel, Alles wird rasch abgemacht und das
Getreide ist schon im Speicher, ja in der Brieftasche zu einer Zeit, wo man ehemals eben
erst ans Einführen ging. Zu dem von der Obrigkeit bestimmten Zeitpunkte sah man aus
sämmtlichen strahlengleich aus allen Richtungen gegen die Stadt hin zusammenschießenden
Straßen, welche, wenn sie sandig waren, für diese Gelegenheit sogar einen Lchmdamm
erhielten, die Woche hindurch nichts als einen hochbeladenen Wagen hinter dem andern,
besonders an Orten, wo das Tanya-System nicht entwickelt war. In Gemeinden mit
ansehnlicherem Grundbesitz, wie auch iu kleineren Gemeinden überhaupt führte Jeder auf
sein eigeues Jntravillan ein, wo zu diesem Zweck in der Nähe der Ställe ein Nanm
vorbehalten war. In größeren Ortschaften aber war es aus feuerpolizeilichen Rücksichten
nicht gestattet, in die Stadt einzuführen, souderu die Tretplätze („Muß-Gärten") befanden
sich außerhalb der Stadt. Zusammengenommen bildeten sie einen Bezirk so groß wie
manche kleine Stadt, wo jeder Landwirth seine eigene bequeme Räumlichkeit besaß und
dabei iu der Nähe der Biehställe hinreichenden Platz für Dungstätte und Tenne.
Landwirthe, die etwas auf sich hielten, begannen nicht einmal gleich nach dem
Einführen mit dem Treten. „Ein armer Teufel, der vor Michaeli treten läßt", pflegteil
sie großsprecherisch zu sagen; frühzeitig treten zu lassen, genirte man sich, damit Niemand
glaube, man brauche das Neue schon dringend, weil das Alte schon zu Ende. Und wenn
Jemand sich rühmte, welch ein gnter Wirth sein Bater gewesen, bekam er darans leicht den
Beweisgrund zu hören: „Ja, das war er; in unseren Kinderjahren bekamen wir stets bei
euch zuerst ueues Brod zu esseu".
Ist nur aber erst die Triste angegänzt, dann geht die Arbeit uuaushaltsam vorwärts.
Jede lebende Seele ist von Tagesanbruch bis zum Abend auf deu Beinen; selbst die Kinder
kriegen zu thun, ja mau sieht oft genug selbst einen jungen Herrn Juristen aus der Stadt,
dem der alte Herr ohne weiteres die Zügel des Fruchtwagens in die Hände drückt. Sie
haben zehn Monate lang genug gefaulenzt auf der Universität, daheim wenigstens sollen
sie das Brod nicht umsonst essen. Der Hausherr selbst, besonders wenn er mit gewechselten
Pferden treten lassen kann, ruht nicht einmal, während seine Dienstleute zu Mittag esseu;
allein behauptet er die Teuue uud es kommt vor, daß er in der eineu Haud das Stück
Brod hält, von dein er schmaust — es ist jetzt sei» Mittagmahl — iu der andern aber
die Zügel, mit denen er das Sechsgespann lenkt. Umsonst! Die Fliegen stechen; der Wind
weht aus dem „faulen Winkel" oder gar aus „närrischem Land" (der Bauersmann ist ein
ausgezeichneter Wetterprophet), da bleibt der Regen nicht aus. Jeder Mensch an die Gabel!
Und drauf los gegabelt, geschlichtet, die Hauseu in die Höhe gehoben, sonst wächst ein
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch