Seite - 136 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Ungarn (2), Band 9
Bild der Seite - 136 -
Text der Seite - 136 -
136
die Schäfer Pfand und Buße, denn die konnte man im Verbotenen erwischen wann
man nur wollte. Auch die streitenden Parteien kamen nicht mit leeren Hände«, was
noch keine Corruptiou war; man hatte dafür zwar Mißbilligung, doch keine Rüge. Eine
orientalische Rasse liebt es, ihren Vorgesetzten mit Geschenken zu nahen, ohne dafür etwas
Anderes zu erwarteu als wohlwollenden Empfang. Diese Neigung ist noch heute nicht
abgelegt. Viele Richter haben noch jetzt alle Hände voll zu thun, um all den Borrath an
Mehl, Wein, Obst, der ihnen in den Hausflur hineingedeiht, abzuwehren, aber sie haben
so viel Billigkeit, daß sie den „bona ticke Bestecher" nicht sogleich mit der Schärfe des
Gesetzes treffen. „Wißt Ihr noch etwas beizubringen (nämlich noch eine Entschuldigung)?"
fragt eiu Richter den Schafhirten, der gerauft hatte. „Jetzt kann ich nicht," versetzt der
Schafhirt, „aber auf den Dömötör-Tag will ich dem gnädigen Herrn ein gntes, schlachtbares
Stück aufziehen". . ..
Bisweilen stellen sich höhere Gäste ein; diesen steht auf dem Stadthause eine
besondere Amtswohnung zu Gebote und sie sind anch im Übrigen Gäste der Stadt. Der
Oberstuhlrichter, der Bezirkshauptmann, die durchreisende» Officiere verleben da fröhliche
Stunden bis in die halbe Nacht. Und kommt ein Student gezogen, oder ein Bettelmönch,
oder gar ein „König aus dem Osten" (bettelnder Türke), so verpflegt ihn die Stadt oder
gibt ihm eine Wegzehrung, ja selbst, wenn die Pferde just Zeit haben, Vorspann bis zur
nächsten Gemarkung.
Doch all das ist gewesen.
Und die magyarische Frau? Auch ihr fehlt es nicht an Zeitvertreib. In einem
nngarifchen Sprichwort findet sich die Richtung ihrer Unterhaltungen angegeben: „Leere
Kammer, dumme Hausfrau". Demgemäß verläßt sie, obgleich sie dieselbe Freiheit genießt
wie ihr Gatte, selten und nur auf kurze Zeit das Haus, welches sie in Hinsicht auf die
Verpflegung dergestalt ausrüsten muß, daß sie wohl monatelang aushalten könnte, ohne anf
den Kaufmauu, Markt oder die nachbarliche Gefälligkeit angewiesen zu sein.
Ihr Mehl, ihr Gemüse wird im Herbst, ihr Schmalz im Winter für das ganze
Jahr eingelegt; ihre Fleischbank bildet theils das auf dem Boden geräucherte Fleisch, theils
das im Hofe wimmelnde Geflügel, in solchen Mengen, daß selbst zahlreiche und bemittelte
Familien den Fleischhauer das Jahr über kaum um ein paar Gulden „bereichern". All'
dies veranstaltet die Haussrau so in aller Stille, Tag für Tag, mit besonnener Voraussicht;
das ist ihre beständige Unterhaltung, so daß sie einen Familienrath nur bei größereu
und wichtigeren Anlässen zu der weiblichen Verwandtschaft oder Nachbarschaft einberuft.
Eine solche größere Unterhaltung ist die Bereitung des „Tarhonya" (eine Art „geriebene
Gerstel") aus Mehl, das durch seinen Klebergehalt sich zusammenballt und in das so viel
Eier, als man nur irgend will, geschlagen werden können, nicht aber auch nur ein Tropfen
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch