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Die um diese Zeit erfolgte Neubesiedelung bedeutete beinahe eine Neuschaffung des
Comitats. Ortschaften, die neben einander lagen, erhielten ihre Einwohner aus ganz
verschiedenen Gegenden. Pilis und Alberti wurden mit Slovaken aus den Comitaten
Nögräd und Sohl in bunter Mischung bevölkert; die Einwohner von Berczel kamen aus
Hannover uud unter ihnen ließen sich später Magyaren nieder, die aus Uri dahinkamen;
Uj-Hartyän wurde durch den Fürsten Grassalkovich größteutheils mit Deutschen aus
Schlesien besetzt; Nemedi wurde von magyarischen Schafhirten, die aus Räczkevi ein-
wanderten, ocenpirt, ihre Nachkommen flüchteten später nach Gran, von wo sie aber
wieder zurückkehrten; in Sari setzte sich eine Mischung von oberländischen Slovaken und
Schlesiern fest. — So viele Gemarkuugeu, so vielerlei Volk; und dennoch fehlt es dein
Gesamint-Charakter der Bevölkerung nicht an gemeinsamen Zügen. Zum Theil wird dies
durch die Thatsache erklärt, daß es unter den neu besiedelte» Gemeinden kaum eiue gibt, wo
nicht gleichzeitig mit den neuen Bewohnern auch die Nachkommen der alten magyarischen
Bewohner eingewandert wären, oder die nicht auch Bewohner aus.den nicht verwüsteten
Gemeinden erhalten hätten. Die früheren Bewohner vergaßen, unter Fremden angesiedelt,
nach und nach sogar ihre Muttersprache, wie dies bei vielen Dörfern nachweisbar ist, aber
ihr Einfluß auf die Gestaltung des Volkscharakters ging nicht verloren. Dieser Einfluß
wurde durch die äußeren Umstände verstärkt. Bor Allem wirkten Klima nnd Beschäftigung
umgestaltend auf die aus verschiedenen Gegenden zusammengeströmten Bevölkerungen. In
dieser Hinsicht hat das Klima Ungarns eine schier wunderbare Wirkung. Die große Hitze,
die lange Trockenheit, Seltenheit des Regens und beständiger Wassermangel, der fast ver-
schwindend kurze Frühling verändern zuerst die Gewohnheiten, dann die Sitten, schließlich
sozusagen die ganze Empfindnngswelt der von auswärts Eingewanderten. Ein Fremdling,
der in der früheren Heimat seine Tage bei unausgesetzter, einförmiger Arbeit verbracht hat,
kann hier die eine Hälfte des Jahres hindurch in einer Behaglichkeit leben, die alle seine
Erwartungen übertrifft, während er freilich gerade in der heißesten Jahreszeit eine so
nachhaltige Arbeitskraft entfalten muß, wie er sie früher gar nicht geahnt. An windstillen
Sommertagen, wenn das in den Sand gesteckte Thermometer 61 Grad Celsius zeigt, muß
er seine von den Vätern überkommene Kleidung ändern, eine leichte, luftige Tracht anlegen
und die Stiefel ausziehen, da er es in diesen an der Sonne nicht lange aushalten würde.
Die Theuerung des Baustoffes uud die Seltenheit des Holzes zwingen ihn, im Freien zu
wirthschaften uud das Getreide in Fehmen zu legen, statt es in Scheunen einzuführen. Er
muß treten lassen, anstatt zu dreschen, denn er muß rasch fertig werden, sonst kommen ihm
die Herbstregen über den Hals und verderben die auf freiem Felde befindlichen Fehmen.
Und dergestalt durch die Naturverhältnisse aus seiner Behausung ins Freie Hinans-
getrieben, ist er genöthigt, sich den Eigenthümlichkeiten der Natur auzupasseu.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch