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Und so kommt es, daß, während in den gebirgigeren Gegenden des Landes, näher
an den Grenzen, die dort wohnenden Völker ihre ursprünglichen Eigenheiten behalten
haben, auf der Pester Ebene, sowie überhaupt im Alföld, zwei oder drei Generationen
hinreichen, um den Charakter der eingewanderten Völker zu verändern. Die Slovaken des
Oberlandes sind charakteristische Beispiele dafür. Sie wohnen seit mehr als tausend Jahren
in ihren Bergen und bewahren eine feststehende Eigenart. Wenn sie ins Alföld herunter-
gelangen, verändert sich ihr ganzes Wesen. Selbst dort, wo sie in größere Massen zusammen-
geschlossen, ihre Muttersprache behalten, ist die Umwandlung augenfällig. In dieser Hinsicht
ist die Bevölkerung von Bekes-Csaba sehr charakteristisch für das ganze Alföld. Diese Stadt
wurde um die Mitte des vorigen Jahrhunderts mit Slovaken aus dem Sohler Comitat
bevölkert, aber welch ungeheuerer Unterschied besteht zwischen dem Slovaken von Csaba
nnd dem von Sohl. Die hoch aufgeschossene Gestalt haben die Enkel im Alföld noch geerbt,
aber ihr Wuchs, ihre Gliedmaßen haben sich gerundet, die Wohlhabenderen setzen Fett an
(was im Sohler Comi.tat nur ausnahmsweise vorkommt) und was die Hauptsache ist, selbst
jene gewissen, charakteristisch dreieckigen Slovakengesichter haben sich abgerundet. Während
der nach Amerika ausgewanderte Engländer einen längeren Hals bekommt, der nach einer
oder zwei Generationen schon ganz lang ist, sehen wir im Alföld das Entgegengesetzte sich
vollziehen, indem der lange dünne Hals des Slovaken daselbst kurz und dick wird.
Dazu kommt noch, daß in diesen Gegenden das Volk sich fast ausschließlich mit
Landwirthschaft beschäftigt, was ihm gleichfalls seine Spuren aufdrückt. Zwar kommen
da auch Gewerbetreibende vor, aber kein einziges Dorf, dessen Bevölkerung sich aus-
schließlich mit irgend einer Industrie beschäftigen würde, und die allgemeine Erfahrung
lehrt, daß auch der Gewerbsmann zur Sommerszeit sein Handwerkszeug liegen läßt, um
sich der Bearbeitung seines geringen Grundstückes zu widmen. Und wenn es ihm gelungen
ist, ein Sümmchen zu ersparen, so verwendet er es nur in seltenen Fällen auf die
Vergrößerung seiues Geschäftes, vielmehr legt er es in Grund und Boden an und gibt
schließlich sein Handwerk auf. Volkswirtschaftlich ist dies keine günstige Erfahrung, aber
sie ist lehrreich zur Kenntniß des ungarischen Volkes.
Diese Einflüsse bedingen es, daß die Bevölkerung des Landes, ohne Rücksicht ans
ihren verschiedenartigen Ursprung, einen gewissen feststehenden Charakter zeigt. Der
Nachkomme des Dalmatiners führt die nämliche Lebensweise, wie sein Nachbar, dessen
Vorfahren mit Ärpäd eingewandert sind. Und der kärglicher lebende steirische Bauer
würde sich nicht wenig wundern, wenn er sähe, wie sich sein Vetter im Pester Comitat
ein gar nettes Häuschen aus Erde baut, wie er sich zur Winterszeit in eine bunt mit
Tulpen bestickte Suba kleidet und sich eine Lammfellmütze auf den Kopf setzt, und wie er
sich das Beinkleid mit der nationalen Verschnüruug schmücken läßt. Und doch hatten
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch